Home / Test & Technik  / Einzeltests  / Aprilia Tuareg 660: Erster Test

Aprilia Tuareg 660: Erster Test

Die neue Aprilia Tuareg 660 vereint die Vorzüge der leichten Abenteuerenduros und jenen von mit Elektronik bestückten Reiseenduros – ein traditionelles Offroad-Bike, das beim Test auf Sardinien mit viel Komfort, Langstreckentauglichkeit mit leichtfüssigen Eigenschaften im Gelände überzeugte.

 

An der EICMA 2019 in Mailand (I) hat Aprilia den 660er-Twin im vollverschalten (Alltags-)Sportler Aprilia RS660 präsentiert und die (halb-)nackte Tuono 660 in Aussicht gestellt. Bereits damals stand als Ausblick in die Zukunft eine Tuareg 660 auf dem Messestand. Nun haben die Italiener die Tuareg 600 aus den im Dakar-Boom stehenden 80er und 90er Jahren in die Moderne geführt und neu aufgegleist.

 

Fülliger Twin hinter Gitter

Der erfolgreiche Reihenzweizylinder mit 270-Grad-Zündfolge wurde ans neue Einsatzgebiet angepasst. Mit neuen Nockenwellen überarbeitetem Mapping, längeren Einlasskanälen und einer neuen Auspuffanlage wurde der Twin auf mehr Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen und eine fülligere Mitte getrimmt. Statt 100 PS bei 10500/min leistet er nun noch 80 PS bei 9250/min, das maximale Drehmoment konnte im Gegenzug um 3 auf 70 Nm angehoben werden. Und die stehen nun bereits bei 6500/min, also 2000/min früher an. Zudem wurden der erste Gang und der Endantrieb kürzer übersetzt.

 

 

Statt einem Alu-Brückenrahmen kommt bei der Tuareg 660 ein Stahl-Gitterohrrahmen zum Einsatz. Der Twin ist zur Zentralisierung der Massen zudem um 9 Grad aufrechter ihm Rahmen verschraubt. Eine Alu-Motorschutzplatte soll Beschädigungen verhindern.

 

Niedriger Langbeiner

Die volleinstellbare Federelemente von KYB sorgen für offroadtaugliche 240 mm Federweg. Dennoch schaffen es die Ingenieure die Sitzhöhe der schmalen Sitzbank mit 860 mm möglichst niedrig zu halten. Damit ist die Aprilia 15 mm niedriger als die Yamaha Ténéré 700 die bisher als leichte Abenteuerenduro schon fast unangefochten schien. Vollgetankt ist die Italienerin mit 204 kg zudem gleich schwer wie die Japanerin, hat mit 18 Litern aber einen 2 Liter grösseres Tankvolumen, was ihr einen Aktionsradius von knapp 400 km ermöglicht (Testverbrauch 4,7 l / 100 km).

 

 

Fernreisequalitäten

Neben der Reichweite erwies sich bei unserem Test auch der Windschutz auf sehr hohem Niveau. Entspannt und bequem sitzt man gut im Motorrad integriert hinter dem breiten Lenker. Auch bei Autobahntempi wird man von der voluminösen, dank durchsichtigem Windschild aber nicht wuchtig wirkenden, Frontverkleidung gut geschützt: Körper und Kopf sind frei von Winddruck und Luftverwirbelungen. Bei einsetzendem Regen am Nachmittag von unserem Aprilia Tuareg 660 Test überzeugte sie sogar mit ordentlichem Wetterschutz.

 

Umfangreiches Elektronikpaket

Der Tempomat ist serienmässig und im 5-Zoll-TFT-Display fehlt abgesehen von einer Reichweitenanzeige gar nichts. Der Bildschirm des Bordcomputers kann auf Connectivity aufgerüstet werden und dann beispielsweise eine Turn-by-Turn-Navigation darstellen.

Im Farbdisplay mit Blendschutz lässt sich zudem über die Handarmaturen auch wechseln zwischen den Fahrmodi «Urban», «Explore», «Offroad» und «Individual», in dem die Parameter für Traktionskontrolle, Motorcharakter/Ansprechverhalten, Motorbremse und ABS frei gewählt und kombiniert werden können. Die Eingriffsstufe der Traktionskontrolle lässt sich zudem in jedem Modus über die linke Lenkerarmatur einstellen oder abstellen. Im Offroad-Modus regelt das ABS nur am Vorderrad und kann bei Bedarf ganz ausgeschaltet werden.

 

Angenehme Entdeckungsreise

Auf den Kurvenstrassen im südlichen Sardinien konnten wir die Aprilia Tuareg 660 einem ersten Test unterziehen und waren vom leichtfüssigen Handling begeistert. Sie liegt sehr neutral in den Kurven, droht trotz den endurotypischen Raddimensionen 21/18-Zoll weder in die Kurven zu fallen noch aufzustellen. Die auf der Aprilia dank Kreuzspeichenrädern schlauchlos montierten Pirelli Scorpion Rally STR Reifen haben bereits auf der Ténéré 700 sowohl auf Asphalt als auch im Gelände überzeugt. Power ist bei der Aprilia stets genügend vorhanden und so lässt sich souverän durch die Kurven der Insel carven. Die 300er-Doppelscheibenbremsen mit Doppelkolben-Brembos sind nicht zu bissig, verzögern aber gut. Was gefällt ist auch, dass die Front nicht übermässig stark eintaucht.

 

 

Offroad-Star

Abseits asphaltierter Strassen begeisterte die Aprilia ebenso. Mit meinen 175 cm erreiche ich den Boden mit beiden Fersen problemlos, was schon mal viel Vertrauen schenkt. Zum Fahren im Stehen ist der breite Lenker angenehm hoch positioniert und dank schmaler Taille lässt sich die Tuareg sauber auch über die breiten gezackten Rasten dirigieren. Das Offroad-ABS ist über alle Zweifel erhaben, ja sogar die Traktionskontrolle kann im Gelände getrost auf der Offroad-Stufe 1 belassen werden. Kleinere Drifts werden nicht verhindert, das Hinterrad aber vor wildem Ausbrechen bewahrt; eine tolle Fahrhilfe!

 

 

Wer seine Driftkünste ungehindert ausleben will, kann die Traktionskontrolle natürlich auch abschalten und dem ausgelassenen Offroad-Erlebnis frönen. Selbst im unwegsamen Gelände überzeugt die Aprilia durch einfaches Handling, gute Balance, grossen Lenkeinschlag und ein Fahrwerk mit ordentlich Reserven

 

Interessante Alternative

Aprilia hat mit der Tuareg 660 tatsächlich ein interessantes Abenteuermotorrad mit tollen Offroad-Qualitäten und hoher Fernreisetauglichkeit im Programm. Sie hat ein neues Segment eröffnet, das irgendwo zwischen Yamaha Ténéré 700, KTM 890 Adventure und den grossen Reiseenduros klaffte. Sie kombiniert geringes Gewicht und Geländetauglichkeit der Ténéré 700 mit grosser Reisetauglichkeit und elektronischen Fahrhilfen. Das Konzept überzeugt!

 

Für ihren Erfolg am Markt wird jedoch auch der Preis entscheidend sein. Die Schweizer Preise liegen aber noch nicht vor. Klar wird sie mehr kosten als die Yamaha Ténéré 700 (ab 11 590.- Franken), das darf sie aber auch. Immerhin bietet sie klar mehr Leistung und Ausstattung. Die Frage ist eher, wieviel mehr sie kosten wird. In Deutschland liegt ihr Preis rund 1600 Euro über jenem der Japanerin. Oder stehen die Beiden gar nicht in direkter Konkurrenz, da Aprilia ja eine Marktlücke getroffen hat?

Review overview