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Energica Eva Ribelle – für Extrovertierte

Energica Eva Ribelle

21,5 kWh – so viel Strom kann die neue Energica Eva Ribelle in ihrem Akku speichern. Das soll das Reichweiten-Problem – bei nach wie vor brachialer Leistung – in die Vergangenheit verbannen. Eine Woche mit dem italienischen Elektro-Naked-Bike.

„Ist die voll elektrisch?“ „Wie weit kommst du mit der?“ „Geht die ab?“ „Und wie schwer ist die?“ „Ist die wirklich elektrisch? Ist ja richtig schön…“ Schon nach nur zwei Tagen mit der Energica Eva Ribelle ist klar: Die Eva ist das ideale Bike für Extrovertierte.

 

Ich fahre mittlerweile seit rund zehn Jahren Motorrad und teste seit knapp vier Jahren Töff von Berufswegen. In diesen letzten vier Jahren bin ich fast alles gefahren, was neu auf den Markt kam, darunter auch den ein oder anderen sehr begehrenswerten Töff. Aber noch nie wurde ich von anderen Töff-Fahrern genauso wie von Passanten so oft auf ein Bike angesprochen, wie auf die Energica Eva Ribelle.

 

Energica Eva Ribelle

Interessierte Blicke sind einem mit der Energica Eva Ribelle sicher.

 

Wer gerne über sich und sein Bike erzählt, macht mit der Ribelle also sicher keinen Fehler – genauso wenig, wie mit jedem anderen Elektro-Motorrad. Obwohl die Absatzzahlen aktuell statistisch noch kaum relevant sind, gibt’s offenbar doch ein grosser Interesse an elektrischen Zweirädern in der Bevölkerung. Und um dieses Grundinteresse zu befriedigen beantworte ich doch als erstes mal diese häufig gestellten Fragen.

 

Hier also das quasi FAQ zur Energica Eva Ribelle: „Ja, die ist voll elektrisch.“ „Je nach Fahrweise. Ich hab inklusive rund 100 km Autobahn etwas über 220 Kilometer geschafft.“ „Ja, die geht richtig ab!“ „Fahrfertig 275 Kilo, das spürt man aber eigentlich nur beim bremsen.“ „Ja, Elektro-Motorräder müssen nicht (mehr) hässlich sein (das gilt übrigens auch für beispielsweise die neuen Zero-Modelle oder die Harley LiveWire).“

Die Reichweiten-Thematik

Was sich bei diesen Fragen wiederum erneut zeigte, ist, dass die Reichweite das wichtigste Thema zu sein scheint. Töfffahrer scheinen sogar noch stärker darauf fokussiert zu sein, als unsere Auto-Freunde. Und da auch mich interessierte, wie es sich mit so einem Elektro-Naked lebt, habe ich mir die Ribelle gleich für eine ganze Woche von Adi von Büren und seiner Extablish AG – er importiert die Energicas in die Schweiz – geliehen.

 

Am Montag starte ich also mit 99 % Akkuladung in Stans und fahre erstmal zu meiner Freundin in die Region Baden. Das sind gut 80 Kilometer, die meisten davon auf der Autobahn. Und Autobahnen mögen Elektro-Motorräder nicht. Ganz im Gegensatz zu Benzinern werden sie mit höherer, konstanter Geschwindigkeit nämlich nicht effizienter – auch weil sie so oder so schon deutlich effizienter sind als Verbrenner – sondern verbrauchen mit steigendem Luftwiderstand auch deutlich mehr Energie. Da zeigt die Energica dann schnell nur noch etwas über 70 km Reichweite an. Würde ich auf der Autobahn mit 120 (+-) weiterfahren, reichte es also nur für um die 150 Kilometer.

Problemlos im Alltag

Am Dienstag steht dann aber das Fotoshooting für diesen Test an. Das heisst, ich fahre erstmal nach Zürich zur Redaktion – wieder auf der Autobahn. Zum Glück bin ich aber etwas vor meinen Kollegen da, und kann die Eva darum noch für knapp eine Stunde an die Haushaltssteckdose in der Garage hängen. Da lädt sie natürlich bedeutend langsamer, als an einem Schnellader, schlussendlich habe ich aber wieder über 60 % Ladung im Akku.

 

Für die Fahrt durch die Stadt und Überland ins Zürcher Oberland, sowie für den Heimweg nach Winterthur reicht das mit erneutem kurzen Zwischenladen vor der Heimreise locker. Gerade in der Stadt geht die Prozent-Anzeige dabei kaum zurück, die Reichweiten-Anzeige steigt von Stadt-Kilometer zu Stadt-Kilometer. Und auch Überland wird der Akku nicht in besorgniserregendem Tempo leergefressen.

 

Energica Eva Ribelle

 

Zu Hause kann ich über Nacht nicht laden – ich habe keine Garage und keine Steckdose in der Nähe meines Aussenparkplatzes. Das ist aber kein Problem, auch nach einigen kurzen Strecken am Mittwoch sind noch 37 % im Akku. Mittlerweile habe ich insgesamt etwas über 220 Kilometer gemacht, und wäre – alle Zwischenladungen abgezogen – nun zum ersten Mal bei 0 % angekommen. Weil ich aber im Geschäft jeweils etwas laden konnte, könnte ich jetzt locker noch eine Feierabend-Runde machen. Im Alltag – also wenn’s nicht auf eine ausgedehnte Tages- oder gar Mehrtages-Tour geht, macht die Reichweite also wirklich absolut keine Probleme.

Schnell-Laden

Die angesprochene Feierabend-Runde nehme ich dann auch noch in Angriff – alles andere wäre an diesem Sommerabend ein Verbrechen an der Töffigkeit. Doch auch wenn ich noch genug Strom hätte, steuere ich zuallererst die Agrola-Tankstelle unweit meines Wohnorts an. Denn ich weiss: Agrolas haben Schnell-Lader. Ideal also, um zu sehen, wie lange ich an so einem Gleichstrom-Ladegerät warten muss, bis ich von 37 % wieder auf 100 % Ladung bin.

 

Das Laden geht relativ einfach: Sattel hochklappen, Abdeckungen entfernen, Kabel einstecken. Nun beginnt die Säule mit mir zu kommunizieren und will natürlich Geld von mir. Ich könnte per App oder mit Karte bezahlen, Adi hat mir aber einen NFC-Chip mitgegeben, den ich einfach nur an die Säule halten kann, die Abrechnung bekommt er dann Ende Monat zu sich. Die Kilowattstunde kostet hier übrigens knapp 50 Rappen, was rund 10 Franken für eine komplette Ladung von 0 auf 100 % bedeuten würde. Klick; Laden…

 

Energica Eva Ribelle

An der Schnell-Lade-Station ist der Akku nach der Mittagspause wieder voll.

 

Ich hole mir im Shop einen Kaffee, setze mich hin, philosophiere mit einem sympatischen Abschleppfahrer über Elektro-Motorräder – „Ist die voll elektrisch“, war seine Einstiegsfrage – und schaue nach 15 Minuten aufs Display: 81 %. Bis die Ribelle wieder ganz voll ist geht’s noch rund 20 Minuten länger. Bis 80 % laden Elektro-Fahrzeuge nämlich bedeutend schneller, als von 80 bis 100 %, weshalb häufig nur bis 80 geladen wird. In 15 Minuten von 37 auf über 80 % lässt sich aber durchaus sehen. Wer beim Mittags-Stop eine Ladestation findet, kann also auch gut eine 400-km-Tagestour in Angriff nehmen.

„Motorbremse“

Die Reichweite der Ribelle ist also wirklich beeindruckend. Mit ihr bin ich wesentlich weiter gekommen, als mit anderen Elektro-Motorrädern. Aber wie fährt sie sich denn? Um das herauszufinden, nehme ich meine Hausrunde in Angriff. Ich kenne die Strecke gut, werde von den Teils tückischen Kurven, die gegen Ende zumachen, also nicht überrascht. Das ist mit jedem Töff angenehm, kommt mir mit der 275-Kilo-Eva aber umso mehr entgegen.

 

Bin ich hart auf der Bremse spüre ich das Gewicht nämlich schon. Klar, die Energie muss irgendwie vernichtet werden. Zum Glück kommt die Ribelle aber mit hochwertigen Brembo-Stoppern, die mich auch Vollbremsungen problemlos mit zwei Fingern meistern lassen. Zudem stelle ich fürs dynamische Fahren die Rekuperation von Low auf Medium. So gewinnt der Akku einerseits mehr Energie zurück, wird andererseits aber auch die „Motorbremse“ stärker, wodurch ich weniger Energie über die eigentliche Bremse vernichten muss.

 

Der Motorbremse eines Verbrenners kommt die Stufe Low dabei am nächsten. Auf der Autobahn schalte ich sie ganz aus, fürs schnellere Fahren in die Stufe Medium. Auf der hohen Stufe greift mir die dann sehr starke „Motorbremse“ zu stark ein, weshalb ich diese nur zu Testzwecken benutze.

Brachiale Beschleunigung

Natürlich ist die Ribelle nicht gerade leicht. Dass ich vor den Kurven allerdings viel Energie vernichten muss hat auch damit zu tun, wie brachial die Italienerinn anreisst. Mit 145 PS Leistung und 215 Nm Drehmoment – das quasi ab Standgas ansteht – katapultiert sie mich förmlich in die nächste Ecke. Die Leistungsentfaltung eines Elektro-Bikes mit dieser Power ist wahrlich atemberaubend. Vor allem, weil ich vor lauter Grinsen kaum noch zum atmen komme.

 

So brachial geht’s allerdings nur im Sportmodus ab, in Urban, Rain und Eco geht die Energica Eva Ribelle deutlich sanfter ans Gas und zieht auch bei Vollgas weniger brutal an. Das ist vor allem für weniger erfahrene Piloten oder bei schlechtem Untergrund äusserst willkommen. Wobei natürlich auch die sechsstufig einstell- und ausschaltbare Traktionskontrolle viel zur Sicherheit beiträgt. Übrigens genauso wie das Bosch-ABS, das ebenfalls ausschaltbar ist.

 

Energica Eva Ribelle

Neutrales Handling

In den Kurven macht die Energica eine gute Figur. Sie lässt sich angenehm leicht einlenken, hält aber auch ihre Linie stabil. Gerade Fahrern, die normalerweise wenig oder kaum mit der Hinterradbremse arbeiten, wird zusätzlich die stärkere Motorbremse (also die Rekuperation) zu mehr Stabilität verhelfen.

 

Die voll einstellbare Marzocchi-Gabel gibt sich äusserst unauffällig, was für eine Gabel ein sehr gutes Zeichen ist. Schnelle Schläge nimmt sie genauso sauber auf, wie grössere Bodenwellen. Das in Vorspannung und Zugstuffe einstellbare Bitubo Federbein ist indes nicht ganz so unauffällig, wie die Gabel. Wobei dies weniger am Federbein selbst, sondern eher an der Platzierung dessen liegt. Es steht quasi senkrecht im Bike und wird direkt – also ohne irgend ein Umlenksystem – angesteuert.

 

Das führt dazu, dass gerade bei Kurvenstrecken auf schlechteren Strassen Bewegung in den Hinterbau kommt, das Bike anfängt zu „pumpen“. Dem kann mit etwas mehr Dämpfung und Vorspannung entgegengewirkt werden, was dann aber Abstriche beim Komfort bedeutet. Tragisch ist das Ganze nicht, es gibt aber Elektro-Konkurrentinnen, die mit schlechtem Untergrund besser zurecht kommen. Fahrwerks-Puristen können die Ribelle gegen Aufpreis übrigens auch mit Öhlins-Elementen ordern.

 

Fazit

Die Energica Eva Ribelle ist das Elektro-Bike mit der höchsten realen Reichweite, das ich bis anhin testen durfte. Dadurch wäre sie für mich im Alltag, also zum Pendeln und für die Feierabend-Runde eine ideale Begleiterin. Auch Tages- oder Wochenend-Touren sind mit ihr bei guter Planung – und sofern man in einem Land mit anständigem Schnelllader-Netz bleibt – kein Problem. Fahrerisch überzeugt vor allem die mächtige Leistung, die zu brachialer Beschleunigung führt. Ebenfalls ist überraschend, wie agil sich so ein grosses Bike fahren lässt. Hier spielen sicher auch die geringeren bewegten Massen (im Motor) eine grosse Rolle.

 

Die Ribelle kann fahrerisch mit vielen Benzinern absolut mithalten, trocknet die allermeisten bei der Beschleunigung gar eiskalt ab. Den meiner Meinung grössten Vorteil haben Elektro-Motorräder und auch die Eva aber in der Stadt und im Stau. Kein Schalten, kein Kuppeln, kein 100 Grad heisser Motor zwischen den Beinen, so werden selbst fahrten durch Zürich um 17 Uhr nicht zur Qual. Ein weiteres nützliches Feature ist zudem der Rückwärtsgang, mit dem mit 2,5 km/h zurückgesetzt werden kann. Zudem gibt’s auch einen langsamen Vorwärtsgang zum Manövrieren – echt angenehm.

 

Ich könnte mir nach dieser Woche sehr gut vorstellen, eine Energica Eva Ribelle in meine Garage zu stellen. Wäre da nicht noch eine Sache… Denn es bleibt die Preisfrage. Ab 28’300 Franken ist die Ribelle in der Schweiz zu haben. Mit einigen Extras ist man dann schnell bei 30’000 Franken angelangt. Die Preise von guten, leistungsstarken Elektro-Motorrädern mit anständiger Reichweite sind unabhängig vom Hersteller nach wie vor hoch. Noch sind E-Motorräder also etwas für Kunden mit grösserem Portemonnaie. Schaut man sich aber beispielsweise die Preisentwicklung bei den grossen Fernsehern der letzten Jahre an, könnten auch Elektro-Motorräder irgendwann in den nächsten 10 – 15 Jahren massentauglich werden.

 

Energica Eva Ribelle

 

Mehr Infos unter e-performance.ch

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