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Erster Test: Ducati Streetfighter V4 S

Dass Ducati mit der Streetfighter V4 ein Power-Naked-Derivat der Panigale V4 bringen würde, lag auf der Hand. Jetzt ist der 208-PS-Hooligan da, und wir durften ihn auf der Strasse zum ersten Test ausführen. Mit teils überraschendem Erkenntnisgewinn…

 

Eigentlich hätten wir die Ducati Streetfighter – und damit eine der wichtigsten Modellneuheiten des Jahrgangs 2020 – Ende März in Andalusien testen sollen. Die Corona-Krise führte jedoch dazu, dass die offizielle Pressevorstellung abgesagt werden musste. Ein bisschen Glück im Unglück: Die ersten Demo-Bikes sind bereits bei den Händlern eingetroffen, und so haben wir eine taufrisch eingefahrene Streetfighter V4 S ausgefasst und auf hiesigen Strassen einem ersten Check unterzogen.

 

Knapp 170 Kilometer haben wir dabei abgespult, wobei festzuhalten ist, dass uns die kühlen Temperaturen um die 10 Grad einerseits und die kritische Situation in unseren Spitälern anderseits dazu bewogen haben, es extra-vorsichtig angehen zu lassen. Und so bewegen wir die feurige Italienerin heute primär im Modus Street (155 PS) und gelegentlich in der Konfiguration Sport (die vollen 208 PS). Vom Race-Mode lassen wir ganz bewusst die Finger und vertagen diese Disziplin auf den Trackday. Nichtsdestotrotz sind wir der Meinung, dass wir euch in diesem Beitrag sehr gut aufzeigen können, was die Streetfighter V4 S auf der Strasse drauf hat.

 

 

Die Gene der Panigale

Bekanntlich erfreuen sich die S-Modelle der Roten aus Bologna in der Schweiz besonders grosser Popularität. Entsprechend testen wir heute die exklusivere Version (ab Fr. 23 995.–), die sich vom 3000 Franken günstigeren Basismodell insofern unterscheidet, als sie mit Schmiederädern von Marchesini und dem adaptiven Öhlins-Fahrwerk inklusive elektromechanisch angesteuertem Lenkungsdämpfer ausgeliefert wird. Mit einem Gewicht von fahrfertig 199 Kilo resultiert durch die S-Komponenten eine Gewichtseinsparung gegenüber der Basis um drei Kilo.

 

Bekanntlich baut die Streetfighter V4 technisch auf ihrer supersportlichen Panigale-Schwester auf. Modifikationen gibt es neben den augenfällig fehlenden Seitenschalen und dem hohen Lenker dennoch einen ganzen Haufen, denn die neue Streetfighter soll ja in erster Linie auf der Strasse performen.

 

 

Zunächst mussten die Ingenieure aus Borgo Panigale das Handling aufpeppen. Und dies, ohne dass das Hyper-Naked-Bike zur ausschlagenden Furie verkommt. Gelöst wurde das Problem, indem der Radstand um 15 mm gestreckt wurde, Lenkkopfwinkel und Nachlauf wurden bei den Panigale-Werten belassen. Für flottere Richtungswechsel und eine optimierte Kontrolle sorgt sicher der breite Lenker; final austariert wird der Mix aus Handling und Stabilität über die Winglets. Letztere sind, um Baubreite zu sparen – man denke an den Betrieb in der City –, als «Doppeldecker» ausgelegt, optimieren die Stabilität beim Anbremsen aus hohen Speeds sowie bei Kurvendurchfahrten und reduzieren die Wheelie-Neigung. Zwei Kilo soll der Abtrieb an der Front bei 50 km/h betragen, deren neun bei 150 und bis zu 34 Kilo bei 300 km/h.

 

Das 4,2 Kilo leichte, «Front Frame» genannte Monocoque-Rahmenelement kennen wir aus der Panigale, wobei dieselben Spezifikationen für Längsflexibilität und Torsionssteifigkeit vorliegen. Diese «Dehnbarkeit» sorge in Vollschräglage, wenn die Federelemente an ihr mechanisch bedingtes Funktionslimit gelangen, für ein transparentes Feeling, versprechen die Ingenieure.

 

 

Besser fahrbar dank MotoGP-Knowhow

Auch in der Streetfighter dreht der Desmosedici-Stradale-V4 mit 1103 ccm Hubraum in astrale Höhen um die 15’000/min. Mit einer Nennleistung von 208 PS liegen gegenüber der Panigale zwar sechs PS weniger an, die Streetfighter drückt in den ersten drei Gangstufen aber energischer ab, wobei ab 4000/min schon über 70 Prozent des maximalen Drehmoments von 123 Nm anliegen. Ab 9000/min sind es dann bereits über 90 Prozent.

 

Neben dem vollen Programm an Assistenzsystemen, namentlich den jüngsten Entwicklungsstufen von Kurven-ABS, Traktionskontrolle, Bremsdrift-, Wheelie- und Motorbremskontrolle, Launch Control und bidirektionalem Quickshifter, wurden neue Mappings des Ride-by-Wire implementiert. Letztere sind so ausgelegt, dass bei konstanten Kurvendurchfahrten, wo das Bike naturgemäss leicht beschleunigen würde, am Gasgriff nicht laufend korrigiert werden muss, was mehr Ruhe bringt. Ferner wird in den unteren Gangstufen beim harten Beschleunigen nicht das volle Drehmoment freigesetzt, sodass sich die Streetfighter leichter kontrollieren lässt. Weitere Vorteile hiervon sind eine sanftere Ansprache sowie eine bessere Kontrolle bei allfälligem Gripverlust.

 

 

Bleibt die Ergonomie: Während die Rasten deutlich tiefer angesetzt wurden, nimmt der Pilot 10 mm weiter oben auf dem mit 60 mm Schaummaterial üppig aufgepolsterten Sitzkissen Platz. Wobei auch das dicke Sitzpolster für den Sozius Hoffnungen auf einen einigermassen erträglichen Ritt des Beifahrers aufkeimen lässt.

 

Stadt und Alltag: Überraschung!

Jetzt aber ran an die Bouletten! Ich nehme Platz und stelle fest: Die Streetfighter V4 ist kein kleines Bike. Mit meinen 174 cm erreiche ich den Asphalt mühelos, wenngleich nicht mit vollständig abgelegten Stiefelsohlen. Der breite Lenker liegt – wie sämtliche Bedienelemente – gut zur Hand, der Torso nimmt eine leicht über den 16-Liter-Tank gebeugte Haltung ein.

 

Der respekteinflössende V4-Donner ist bekannt und in puncto Volumen – zumindest aus Fahrerperspektive – sicher nicht von der zurückhaltenden Sorte. Als aufdringlich würde ich die Lebenszeichen des V4 allerdings auch nicht bezeichnen. Am Lichtsignal werde ich dann Zeuge einer akustischen Streetfighter-Eigenheit: Und zwar klingt der V4 plötzlich gedämpft und viel leiser – als hätte ich Druck auf den Ohren. Der Grund: Um einer Überhitzung des Motors vorzubeugen, wird im Leerlauf die diesbezüglich exponiertere, hintere Zylinderbank ausgeknipst, sodass der Vierzylinder nur auf den vorderen beiden Pötten läuft.

 

 

Am meisten erstaunt mich, wie einfach, ungestresst und unverkrampft sich die Streetfighter in der City bewegen lässt. Ich kann problemlos und ohne Gestottere des kultivierten und ab 2500/min mit lobenswertem Rundlauf werkelnden V4 durch 30er-Zonen gondeln, wobei der Reaktor immerzu vorbildlich-sanft ans Gas geht. Und zwar unabhängig vom angesetzten Speed. Im Sport-Modus hängt er schon eine Spur direkter am Gas; ein Problem ergibt sich dadurch allerdings nicht.

 

Die 155 PS des Street-Modus reichen im Alltag auf der öffentlichen Strasse bei Weitem. Auch, weil gegenüber dem Sport-Modus in der unteren Hälfte des Drehzahlspektrums praktisch keine Unterschiede auszumachen sind, sprich, die Streetfighter V4 bietet in jeder Lebenslage Druck … und zwar im Überfluss. Die Leistungsabgabe bleibt dabei aber immer linear und berechenbar. Wie sich der Desmosedici Stradale in der Streetfighter ab 8000/min gibt, wird sich hoffentlich in Bälde auf der Rennstrecke zeigen.

 

Auch die Assistenzsysteme arbeiten allesamt erstklassig – intervenieren nie störend. Im Gegenteil habe ich trotz kühlen Temperaturen – und das ist sicher auch ein Verdienst der versierten Pirelli  Diablo Rosso Corsa II – immer sehr viel Vertrauen in alles, was sich unter mir abspielt.

 

Handling und Stabilität in Harmonie

Sicher spielt hier auch die Performance des Fahrwerks eine entscheidende Rolle. Das Feedback ist glasklar – sowohl die NIX-30-Gabel wie auch das TTX-36-Federbein von Öhlins dämpfen höchst effizient und scheinen mit enormen Reserven aufzuwarten. Von der laufenden Einstellarbeit des adaptiven Fahrwerks merke ich in der Praxis nichts, und das ist gut so.

 

Sicher ist die Streetfighter V4 in puncto Chassis eher auf der handlichen Seite des Spektrums einzuordnen, bietet aber dennoch einen berauschend gut getroffenen, süffigen Mix aus Handling und Stabilität. Selbst in der fiesesten Haarnadelkurve, die unsere Normrunde auf Lager hat – steil bergauf und mit Unebenheiten garniert –, gibt sich die V4 keine Blösse und zieht, ohne sich kippelig zu geben, souverän ihren Strich. Einzig bei resoluten Bremsmanövern bis an den Kurvenscheitel macht sich ein leichtes Aufstellmoment bemerkbar.

 

Was auf der Streetfighter V4 S aber am meisten Spass macht, sind klar flüssige Wechselkurven. Du pfefferst aus der Kehre, triffst ohne jegliches Unter- oder Übersteuern die anvisierte Linie, legst dir präzis die nächste Kurve zurecht, schaltest dazwischen zweimal via den sauber funktionierenden, bidirektionalen Quickshifter hoch – bröööh, bröööh, die Streetfighter stürmt ohne jeglichen Unterbruch beim Kraftfluss nach vorn –, mit leichtem Impuls die nächste Kurve einleiten, zack!, in die Eisen und rein ins Vergnügen! Dieses flüssige Aneinanderreihen von Kurven, Beschleunigungsphasen, Schalt- und Bremsmanövern, wobei jeder Zustand flüssig in den nächsten übergeht – das ist Flow-Erlebnis in Reinkultur!

 

 

Wer braucht denn eine Panigale?

Auch bei den Bremsen haben die Verantwortlichen voll ins Schwarze getroffen. Die Ansprache der Stylema-Brembos gibt sich durchaus human, also nicht zu giftig, und das ist für ein Strassenbike gut so. Die Verzögerungswerte sind auf Wunsch aber brachial. Das ABS? Neutral, unauffällig.

 

Inwieweit die Winglets einen manifesten Einfluss auf die Strassen-Performance der Streetfighter haben, kann heute kaum eruiert werden. Fakt ist aber, dass die Flügel einfach scharf aussehen und dieser Ducati sicher ein eigenständiges Erscheinungsbild verpassen.

 

Erstaunt bin ich am Ende der Testfahrt nicht nur über die Tatsache, dass sich ein in jeder Hinsicht super-leistungsfähiges Bike wie die Streetfighter im Alltag dermassen unbeschwert bewegen lässt, sondern auch darüber, dass sich bei mir keinerlei Ermüdungserscheinungen eingependelt haben. Dies spricht für eine entspannte Ergonomie. Als einziger echter Kritikpunkt haben sich die Rückspiegel im Testprotokoll niedergeschlagen. Diese bieten zwar eine ausreichend grosse Spiegelfläche, zielen aber zu weit nach unten und bieten so nur in geduckter Haltung eine aufschlussreiche Sicht nach hinten.

 

Abschliessend noch eine Bemerkungs zum Preis-Leistungs-Verhältnis: Die Streetfighter V4 S kostet exakt 6495 Franken weniger als ihr Panigale-Pendant, bietet aber ein breiteres Einsatzspektrum, quasi dieselbe Technik und dürfte auch am Trackday ebenfalls eine brillante Figur abgeben. Was schliessen Sie daraus?

 

Fazit

Ein Hyper-Naked mit so viel Power und einem gleichzeitig dermassen breiten Einsatzspektrum ist noch nie aus Bologna angerollt. Das sportliche Potenzial der Streetfighter V4 ist sicher gigantisch, da machen wir uns keine Sorgen. Überrascht hat uns eher, wie unangestrengt sich dieses Bike am Pass und in der City spassbringend fahren lässt.

 

Info: www.ducati.com

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