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Gabeltechnik: USD, BPF, Cartridge?

Öhlins NIX 30 Cartridge Kit FGK 219. Unter anderem für diverse Ducati-Modelle. Foto: Öhlins

Man könnte meinen, die Telegabel fürs Motorrad sei erfunden. Doch auch in der Gabeltechnik macht der Fortschritt nicht Halt. Erklärungen zur herkömmlichen Telegabel über die Big Piston Fork bis zur Gasdruckgabel.

Sie führt das Vorderrad, absorbiert Fahrbahnunebenheiten, schont Töff und Fahrer, überträgt enorme Kräfte und stellt den bestmöglichen Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn her: die Teleskopgabel, Telegabel oder einfach Gabel genannt. Sie ist für Motorräder die am häufigsten eingesetzte Vorderrad-Aufhängung. Andere Systeme hatten es – bis auf den BMW-Tele- bzw. Duolever – schwer gegen die ausgereifte Gabel.

Ein Rohr, eine Feder, ein Dämpfersystem

Im Grundsatz funktioniert die Gabel nach wie vor gleich: Zwei ineinander verschiebbare Rohre (deshalb Teleskop) nehmen im Innern die Feder-Dämpfer-Einheit auf und sorgen für Komfort und Fahrsicherheit. Zwei Gabeltypen treffen wir bei Strassen- und Sportmotorrädern besonders oft an: die konventionelle Standard-Telegabel mit oder ohne Cartridge (dt. Kartusche) und die Big Piston Fork BPF (dt. Gabel mit grossem Kolben). Eine noch junge Erscheinung auf dem Markt ist nun die Gasdruckgabel vom Hersteller Showa. Die Gasdruckgabel markiert zweifelsohne einen Meilenstein für Serienmotorräder.

Schnitt durch die Big Piston Gabel einer Kawa ZX-6R von 2009. Sie zählte zu den ersten Bikes, die serienmässig mit dieser Technologie ausgestattet wurden.

Schnitt durch die Big Piston Gabel einer Kawa ZX-6R von 2009. Sie zählte zu den ersten Bikes, die serienmässig mit dieser Technologie ausgestattet wurden.

USD oder herkömmlich

Bei den MotoGP-Gabeln sind die zylindrischen Ausgleichsbehälter hinter dem Gabelfuss schon seit einiger Zeit zu sehen, inzwischen kommen sie auch im Serienbau zum Einsatz. Die besagte Gasdruckgabel ist eine Weiterentwicklung ihrer Vorgängerinnen, deshalb möchten wir sie genauer anschauen und zeigen, was in ihr steckt und warum. Ob die Gabel als „Upside down“, also mit dem Aussenrohr oben, oder umgekehrt daherkommt, spielt im folgenden Vergleich eine untergeordnete Rolle. USD-Gabeln sind für Sporttöff zum Standard geworden, weil die Rohre dank längerer Überlappung eine höhere Stabilität aufweisen.

Kontrollierter Ölfluss

Die erste hydraulisch gedämpfte Gabel verbaute BMW serienmässig bereits vor über 80 Jahren. Das Prinzip hat sich bis heute bewährt. Ein Stand- und ein Gleitrohr, im Innern eine Feder und eine vorbestimmte Menge und Viskosität an Dämpferöl, welches beim Ein- und Ausfedern durch fixe Bohrungen gepresst wird, damit die Feder und somit das Fahrzeug schnell zur Ruhe kommt. Das Luftpolster oberhalb der Ölmenge wird beim Einfedern komprimiert und unterstützt das Feder-Dämpferelement zusätzlich. Die Vorteile dieser Gabel sind klar die Einfachheit, Zuverlässigkeit und die tiefen Herstellungskosten.

Zug- und Druckstufe

Bei Fahrzeugen im unteren Preissegment ohne Ansprüche an Einstellmöglichkeiten ist dieses System noch heute anzutreffen. Der Nachteil: Solche Gabeln lassen sich auf die jeweiligen Bedürfnisse kaum abstimmen. Die Vorspannung der Feder lässt sich nur durch Unterlegen mit Hülsen oder Scheiben erhöhen; ist die Dämpfung zu lasch oder zu straff, hilft nur der Wechsel auf ein dick- oder dünnflüssigeres Gabelöl. Die Standard-Gabel kann für die Dämpfung auch mit einer sogenannten Cartridge versehen sein. Diese übernimmt die Dämpfung der Zugstufe, also des Ausfederns. Die Dämpfung der Druckstufe (Einfedern) erfolgt weiterhin über ein Bodenventil im Innern des Gabelfusses. Zug- und Druckstufe können – je nach Budget des Herstellers – mit Einstellschrauben ausgestattet sein, mit welchen die Durchflussbohrung des Dämpferöls vergrössert bzw. verkleinert wird.

Vorspannung

Ebenso ist es mit baulichem Aufwand möglich, die Vorspannung der Feder über ein Gewinde im Gabeldeckel zu verstellen. Die Big Piston Fork ist die nächste Evolutionsstufe der Cartridge-Gabel. Anstatt in einer Kartusche gleitet der Kolben direkt an der Innenseite des Tauchrohrs und übernimmt sowohl die Dämpfung der Zug- wie auch der Druckstufe. Somit entfällt das Bodenventil im Gabelfuss, was Gewicht einspart. Die Einstellschrauben sind bequem oben am Gabeldeckel zugänglich. Der wohl wichtigste Vorteil der BPF ist, dass durch den grösseren Dämpferkolben die Öl-Durchflussmenge höher ist und dieser feiner eingestellt werden kann.

Vergleich: Cartridge (Kartusche) vs. Big Piston Fork: Das ist Fortschritt: die Big Piston Fork (re.) kann nicht nur den Ölfluss feiner regeln, sie kommt auch mit weniger Komponenten aus.

Vergleich: Cartridge (Kartusche) vs. Big Piston Fork: Das ist Fortschritt: die Big Piston Fork (re.) kann nicht nur den Ölfluss feiner regeln, sie kommt auch mit weniger Komponenten aus.

Vakuumblasen im Öl

Die Gasdruckgabel als bisher letzte Evolutionsstufe wurde für die Lösung eines Problems entwickelt, für welches die bisherigen Systeme kein Rezept bereithielten. Bei schnellen Dämpferbewegungen entstehen kurzzeitig hohe Über- und Unterdrücke im Gabelöl, was zu Kavitation (Entstehung kleinster Vakuumblasen) führen kann. Dass diese Vakuumblasen das Ansprechverhalten der Dämpfung verzerren, ist klar. Bei diesem Punkt greift nun die neue Showa-Gabel an: Durch ein ausgeklügeltes System mit einer Dämpferkammer, in die durch Kanäle mit Ventilen Öl entweichen und wieder zurückfliessen kann, werden die Über- und Unterdrücke gemildert. So wird nicht nur der Kavitation und der Schaumbildung entgegengewirkt, es entlastet auch die Dichtringe.

Schema eines Gasdruckdämpfers: Stickstoff beruhigt den Ölfluss.

Schema eines Gasdruckdämpfers: Stickstoff beruhigt den Ölfluss.

Kolben unter Gasdruck

Der Ausgleichsbehälter hat im Innern eine mit Stickstoff befüllte Kompressionskammer, die mit einem schwimmenden Kolben von der Dämpferkammer getrennt ist. Dieser Gasdruckkörper gleicht das Volumen des ein- und ausströmenden Öls aus, da Flüssigkeiten bekanntlich nicht komprimierbar sind. Was in der Theorie funktioniert, besteht auch in der Praxis. Wer diese Gabel schon getestet hat, weiss, wo neu die Massstäbe in puncto Ansprechverhalten, Rückmeldung und Linienführung gesetzt sind.

Noch ein Punkt zu den Kosten: Im Unterhalt unterscheidet sich diese Gabel kaum von ihren Vorgängerinnen. Die Gasdruckfüllung ist fix integriert und nur vom Fahrwerksprofi ersetzbar. Verschleissteile wie Dichtringe und Gabelöl haben die gleiche Lebensdauer wie bei den bewährten Gabeln.

 

Text: Armin Büchler

 

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