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Gut Gebrüllt, Löwe!

Simbabwe hat ein schlechtes Image, vor allem ­wegen der politischen Lage. Für Reisende ist das Land aber relativ sicher. Es bietet traumhafte Enduroabenteuer und hat herzliche Gastgeber.

«Hütet Euch vor Elefanten auf der Strasse», sagt uns ein freundlicher Polizist, als wir in Simbabwe einreisen. In Südafrika begegnet man diesen Dickhäutern nur in umzäunten Wildparks, aber in Simbabwe laufen sie frei herum. Die Natur spielt hier die erste Geige und gleich mit einem kompletten Symphonie-Orchester an den Victoria-Wasserfällen. Mosi-oa-Tunya: «der Rauch der donnert», so nennen ihn die Afrikaner. «Das Schönste, was ich in Afrika gesehen habe», meinte David Livingstone, der als erster Europäer dieses Weltwunder sah und beschrieb. Livingstone betrachtete die hinunter stürzenden Wassermengen 1855 von einem Felsen im Sambesi-Fluss aus. Ich dagegen bezahle eine Handvoll Dollar zu viel, um das Schaumspektakel aus einem Hubschrauber zu bewundern. Das nennt man Fortschritt! Welch ein Panorama bieten die fünf aneinander­gereihten Wasserfälle aus der Vogelper­spektive! Mehr als 1700 m breit donnert die massive Mauer aus Wasser etwa 100 m in eine Spalte hinunter. Als Andenken kaufe ich auf dem Markt ein NyamiNyami-­Maskottchen, ein Glücks-Amulett, dessen Band früher aus Elefantenhaar gefertigt war, aber jetzt aus Dunlop-Gummi. Auch das ist Fortschritt. NyamiNyami heisst der mächtige Wassergott, der in den schäumenden Gewässern lebt. Die Marktverkäufer erzählen, dass NyamiNyami verärgert ist, weil der Kariba-Staudamm im Sambesi-Fluss seinen Durchgang versperrt. Jeden Moment kann er die Erde schütteln, den Damm zerbrechen und mit dem Wasser den ganzen Touri-Kram rund um den Donnerrauch der Vic Falls wegfegen. Auch Johan und ich lassen nun die touristische Infrastruktur hinter uns. Die simbabwische Stadt Bulawayo ist sauber und gepflegt, voller freundlicher und zivilisierter Leute. Wandern ist hier ein Vergnügen – ein normales Erlebnis für einen Holländer, aber eine Offenbarung für einen Südafrikaner aus den Grossstadt-Infernos von Johannesburg und Pretoria, wo Leute sich am liebsten bewaffnet in Panzerwagen durch den urbanen Dschungel fortbewegen. Die Innenstädte von Südafrika sind nach Ende der Apartheid ziemlich verludert. Aber Bulawayo, die zweitgrösste Stadt von ­Simbabwe, hat ihre glänzende, koloniale Ausstrahlung ­bewahrt. Wir besuchen das städtische Museum in einem herrschaftlichen Gebäude. Es werden Werke von jungen Designern und Wände voller Fotos von der Naturschönheit Simbabwes gezeigt. Das Ganze ist ein wunderbarer Vorgeschmack auf unsere kommende Motorrad-Expedition. In Bulawayo haben wir uns mit Riders for Health verabredet, einer von Rennfahrer Randy Mamola und anderen ­Briten gestifteten Hilfsorganisation. Johan und ich werden also einen Tag zusammen mit einem Health-Engel auf seiner Arbeitsrunde durch den Busch fahren. Und tatsächlich, wir treffen John Medenda, der auf seiner Sugi gerne mit uns ­fahren möchte. Aber dann versalzen Bürokratie und eine ­Pyongyang-ähnliche Polit-Paranoia die Suppe: «Alles ist mit der Zentrale von Riders for Health arrangiert», sage ich mit europäischer Unschuldsmiene. Johan starrt versteinert aus dem Bürofenster von Doktor Soundso, der die finale Genehmigung geben muss. Und so warten wir und warten … auf ein Telefonat, das nie kommen wird. Johan weiss das längst. Nur ich, der Rookie aus Holland nicht. Europäer haben die Uhr, Afrikaner die Zeit Das mag so sein, aber auf mich wartet draussen eine KTM und darauf möchte ich eine Runde fahren mit Johan und John, genau wie vereinbart. Guck mal: hier sind die E-Mails zum Beweis. Willkommen in Afrika, Rookie! Die Bürokraten spielen ihr Katz-und-Maus-Spiel so lange mit mir, bis ich es satt habe und mich auf meine KTM setze. Rauchend vor Wut, denn was gibt es hier zu verbergen, das Johan und ich nicht sehen dürfen? Wo versickert das Spendengeld von ­Riders for Health aus Europa? Simbabwe wird in den Medien ja nicht gerade günstig dargestellt: Zwangsenteignungen von Land durch die Regierungs-Clique, teure Shopping­reisen mit Privatjets durch dieselbe Clique in europäische und arabische Luxus-Kaufhäuser, haushohe Inflation, politischer Terror, eine weit verbreitete Hungersnot, Misère und Korruption machen Schlagzeilen … Wir können es nicht ändern, geben unseren KTM die Sporen und lassen einen bedepperten Suzukifahrer und einen gleichgültigen Bürokraten hinter uns im Staub zurück. Die Fahrt Richtung ­Osten lässt meinen Frust über die Riders for Health rasch schwinden. Stattdessen breitet sich die ungezähmte Schönheit von ­Simbabwe vor uns aus. Du suchst das Herz Afrikas, Rookie? Hier schlägt es wilder, als es deine Sinne je erfassen können. Das Raubtier-Konzert im Antilopen-Park  In der Nähe der Stadt Gweru buchen wir Safarizelte beim Antelope Park. Wir sehen keine Antilopen, aber angeblich treiben sich hier etwa 110 Löwen und der Ordnung wegen auch ein Paar Dutzend Elefanten herum. Und der Wildpark lockt Besucher mit einem Löwenwelpen-Kindergarten, wo die kleinen Katzen Buscherfahrung sammeln, bevor sie ­irgendwo im Herzen Afrikas ausgesetzt werden. Die Löwen sind hier ja nachts in ihren Käfigen eingesperrt. Aber wenn ihr mächtiges Brüllen die Erde vibrieren lässt, laufen mir doch kalte Schauer den Rücken hoch und runter. Doch glücklicherweise geht am nächsten ­Morgen die Sonne wie üblich wieder auf und aufbrandendes Vogelgezwitscher vertreibt nach und nach das furchteinflössende Raubtierkonzert. «Der Tinkerbird klingt wie ein Glöckchen,» sagt Johan, der Mann mit seiner scheinbar unerschöpflichen Kenntnis von allem, was über afrikanischem Boden flattert, darüber kriecht und schleicht. Wie üblich ist Johan schon wach, bevor die ersten Sonnenstrahlen die Erde berühren. Er setzt den Kessel aufs Feuer und wartet, bis Vögel und Holländer erwachen. Es warten ungewöhnliche Aktivitäten auf uns, wir wandern mit Löwen und werden auf Elefanten sitzen. Ein paar dünne Zweige reichen, um Raubtiere auf Distanz zu halten, und eine Handvoll Trockenfutter soll die Elefanten davon überzeugen, mich nicht zu zertrampeln, bis nur noch ein Häufchen Holländer-Püree von mir übrig ist. Aber ebenso wie über die abenteuerlich mit Schlaglöchern, Riffeln und Sandseen versehenen Wege hierher, überstehe ich auch diese Erfahrungen unversehrt – zwar ein wenig blass um die Nase, aber zweifelsohne als klügerer und stärkerer Mensch. Geschichte, wo man hinschaut Wie Bulawayo hat auch Gweru eine hübsche, koloniale Atmo­sphäre. Im Gegensatz zu den Innenstädten in Post­apartheid-Südafrika sind hier kein Müll auf den Stras­sen und keine Grafitti an den Wänden zu entdecken. Selbst die Strassen rund meine Wohnung in Amsterdam sind viel schmutziger als die von Gweru. Auch die Gweruanen selbst schauen gepflegt aus und sind viel höflicher als die Einwohner meiner niederländischen Hauptstadt. Die KTM brummen zufrieden eine extra Runde über die Boulevards. Die wurden so breit gebaut, weil früher ein Ochsen­wagen-Gespann hier wenden können musste. Hier im südlichen­Afrika schaukelt ja die Wiege der Menschheit. Und hier schlägt das wahre Herz Afrikas – gelbes Elefantengras, rote Erde, grüne Hügel übersät mit Baobab-Bäumen, Kraalen und ­traditionellen, runden Hütten aus Reet und Schlamm. Unsere afrikanische Märchen­strasse führt ab und zu durch ein grösseres Dorf mit Handelsposten aus Backstein und Wellblech-Dächern. Hier verkaufen alle Läden Fleisch und Getränke. Wenn wir in so einer anonymen Siedlung anhalten, kommen die Leute freundlich auf uns zu und klatschen. Dann heisst es lächeln und Hände schütteln. Neben uns klettern derweil Männer auf einen Reisecar, um Gepäck zu befestigen. In Afrika gibt es immer reichlich grossartige Dinge zu sehen und zu erleben. Wir kommen uns vor wie die Entdecker Stanley und Livingstone. Wir steigen von unseren ­eisernen Pferden. Zwei alte Herren begrüssen uns von ihrer Bank im Schatten einer Metzgerei mit Spirituosenabteilung aus: «Warum steht ihr da draussen in der Sonne zum fotografieren, statt mit uns im Schatten zu sitzen und zu plaudern?» Was die beiden sonst noch so in ihrer Landessprache mit den anderen Einheimischen plauderten, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber ich meine, es könnte sich folgendermassen zugetragen haben: «Die zwei merkwürdigen Kreaturen kamen auf Pferden ohne Hufe, mit Rädern wie ein Automobil, aber mit zwei statt vier, wie ein halbiertes Pferd. Komplett ungeschickt, meiner Meinung nach, denn diese Pferde können leicht umkippen. Und ­sicherlich dann, wenn einer der Reiter von unserem hausgemachten Bier getrunken hat. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die beiden Reiter unser hausgemachtes Bier ablehnen und sich stattdessen im Laden Kokkakola kaufen. Und sie waren gekleidet in dicke Kleidung mit allerlei Plastikzeug als Schutz im Fall eines Falles wenn sie, mit oder ohne Bier getrunken zu haben, von ihren halben Pferden stürzen sollten. Ungeschickt in dieser Hitze! Und statt uns, wie gehabt, nach alter Sitte ordentlich zu begrüssen, fängt eine dieser Kreaturen gleich an, mit einem Kasten herumzuhantieren. Als wir darüber mit ihm redeten, sah er seinen Irrtum ein, schüttelte endlich unsere Hände und setzte sich neben uns auf die Bank, um dieses schwarze, aber unafrikanische Gebräu zu trinken. Dieser Reiter erklärte uns, dass er aus Amsterdam komme, in der Nähe von England, und dass es eine Riesenmenge Salzwasser gibt zwischen seinem Land und Simbabwe. Und er fragt allen Ernstes, ob wir auf unseren Schulen hier keine Erdkunde hätten! Natürlich wissen wir, dass Amsterdam die Hauptstadt der Niederlande ist, dass diese Stadt mehrere Meter unter dem Meeresspiegel liegt und dass mächtige Deiche diese Stadt und dieses Land schützen, wenn der niederländische Nyami­Nyami nicht mehr zu bremsen ist. Unsere Welt ist voller Wunder. Und jetzt fragen wir die da nach einem Bier, denn die Kehlen sind durstig nach all diesem ­Palaver.» Auf unserer weiteren Töff-Expedition dringen Johan und ich immer weiter ins Herz Afrikas vor. Wir begegnen kaum anderen Reisenden und schon gar keinen Motorradfahrern. Auch die weltberühmten und zum UNESCO-­Welt­erbe gehörenden Zimbabwe Ruins haben Johan und ich für uns alleine. Wir schlendern zu Fuss in heiliger Stille zwischen den Steinen herum, die Zeugen einer afrikanischen Zivilisation sind, die hier zwischen 1180 und 1680 florierte. Im Land der kahlen Köpfe Es ist noch früh und frisch, als wir den Hügel hochsteigen. Tiere, mythisch oder echt, sind selbstverständlich Teil einer jeden Afrika-Expedition. Da ist es auch nicht komisch, die Motorräder irgendwo an einem Zaun zurückzulassen und Leib und Seele einem Wildfremden anzuvertrauen, einem Führer, den wir erst vor ein paar Minuten kennen gelernt ­haben. Wir sind schon an Bord des Geländewagens, unterwegs durch das ungezähmte Afrika von Matobo Hills National Park. Matobo heisst «kahle Köpfe», und dieser Name passt hervorragend zu den Felsformationen um uns herum. Doch auch diese relative Sicherheit im Auto lassen wir hinter uns. Zu Fuss geht es weiter! Es folgen unvergessliche Eindrücke auf einem Sound- track von Adrenalin-Trompeten und Herz-­Trommelschlägen – da sind wilde Nashörner in nur ein paar Metern Entfernung. Wenn uns der Führer gestenreich bedeutet, uns zu bücken, bücken wir uns ohne zu zögern. Wenn er bedeutet zu gehen, folgen wir ihm auf dem Fuss. Wenn er fordert still zu sein, hört man keinen Atemzug von uns. «Ihr habt Glück, diese Tiere noch wild zu sehen, eure Kinder werden das Privileg nicht mehr haben», meint er. All das, was wir hier erleben, ist für uns kaum zu fassen: die unmittelbare Nähe von Nashörnern, die merkwürdigen Felsformen und Höhlenzeichnungen – Tausende von Jahre alt – und das alles auf ­einen Nachmittag konzentriert … Simbabwe ist einerseits rauher und eindringlicher, andererseits ursprünglicher und offener als alle anderen Länder auf diesen Breitengraden. «Eine Welt voller Wunder» versprechen die Broschüren von Zimbabwe Tourism. Davon ist in diesem Fall kein Wort gelogen. Mehr als 150 Jahre, nachdem Livingstone hier umherirrte, ist das Herz von Afrika noch immer relativ unberührt. Deshalb steht fest: Meine KTM hat ihre letzte Reise noch nicht gemacht. Und darum lautet die Parole: «Afrika, ich komme wieder!» Und so endet auch diese Erzählung wieder mit einem singenden Cowboy, der im Schlussakkord der ­untergehenden Sonne entgegen fährt.


Unser ReisenderMichiel van Damist freiberuflicher Reporter und ­publiziert seit Anfang der 1990er Reiseberichte in nieder­ländischen und deutschen Motorrad­magazinen. Am liebsten ist er im südlichen Afrika, Portugal oder auf dem Balkan unterwegs. Seit 1983 fährt er BMW-Zweiventiler in Europa, ab 1988 Moto Guzzi California II in Südafrika. 1999 kaufte er seine BMW 1100 GS für Motorradreisen in ­Europa, 2016 eine KTM 690 ­Enduro für Motorradreisen im südlichen Afrika. Von Michiel stammt auch Teil 1 dieser Reise über Botswana in MSS 7/2017. 

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