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Moto Guzzi MGX-21

Moto Guzzi traut sich was: Die im Bagger-Style designte MGX-21 ist ein kühner Entwurf. Was 2014 noch eine Studie war, rollt jetzt tatsächlich in Serie auf die Strassen.
Er war der Hingucker schlechthin auf der Mailänder EICMA vor zwei Jahren: Mattschwarz mit viel Sichtkarbon, einem riesigen 21-Zoll-Scheibenrad vorn und feuerroten Bremssätteln stand im November 2014 ein riesiger Bagger auf einem übermannshohen Podest. „Wenn sich Guzzi doch bloss mal trauen würde!“Man konnte diesen Gedanken in den Gesichtern vieler staunender Betrachter lesen. Vor einem Jahr dann – wiederum an der EICMA – war klar: Sie werden sich trauen. Und jetzt zeigt sich: Sie haben sich getraut am Comer See beziehungsweise in Noale, wo die Entwicklungsabteilung sitzt, den Entwurf von Miguel Galluzzi umzusetzen. Schwarz, lang und niedrig ist die MGX-21 geworden. Dazu viel Sichtkarbon, rote Ventildeckel und ebenso rote Bremszangen im übergrossen Vorderrad. Wow, ganz grosses Kino!Es sind aber nicht nur diese Details, die die MGX-21 aus der Masse herausheben. Eine im „Batman“-Style gehaltene, ähnlich mächtige Frontverkleidung hat sich bisher nur Harley-Davidson getraut. Die beiden Seitenkoffer sind elegant ins abfallende Heck integriert. Dass komfortables Cruisen die eigentliche Bestimmung dieses Motorrads ist, dokumentiert die Ausstattung mit Tempomat sowie üppigem Entertainment-System. Man braucht das zum Erfolg auf dem wichtigsten Markt für Zweiräder dieser Art, den USA. Dort, in Pasadena nahe Los Angeles, ist die MGX-21 auch ersonnen worden, und dort wird sie wohl auch die Mehrzahl ihrer Kunden finden.Miguel Galluzzi heisst der Chefdesigner des PADC (Piaggio Advanced Design Center) in Pasadena, Kalifornien. Er erklärt die Entstehung der MGX-21 folgendermassen: „Wir haben uns vorgestellt, wie wir am liebsten den amerikanischen Kontinent durchqueren würden. Sofort war klar, dass die Basis unsere Moto Guzzi California 1400 sein muss. Und doch wollten wir noch etwas weiter in die Zukunft blicken. Also erinnerten wir uns an italienische Topdesigner wie Bertone mit dem Alfa Romeo BAT aus den 1950er-Jahren zurück. Diese für die damalige Zeit absolut verrückten Italiener setzten wilde und extreme Ideen in Formen aus Metall um und verbanden so italienische Kreativität und amerikanischen Pragmatismus. Wir gingen ähnlich vor, integrierten aber zusätzlich Komfort, technischen Avantgardismus, bedingungslose Langstreckentauglichkeit und absolute Zuverlässigkeit.“Gutmütiger Koloss Noch nicht einmal sehr erfahrene Töfffahrer, zu denen wir uns nach mehr als drei Jahrzehnten auf den unterschiedlichsten Zweirädern bestimmt zählen dürfen, gehen unbefangen auf dieses schwarze Ungeheuer vom Comer See zu. Weit vom Fahrer entfernt erstreckt sich das ansprechend gestaltete Cockpit. Gleich zwei mächtige Rundinstrumente mit je einem zentralen LC-Display faszinieren das Auge, links und rechts davon machen sich jeweils zwei unterschiedlich grosse Lautsprecher breit. Chic angepasst ist die mittige Plexiglas-Haube in Form zweier kleiner Hutzen.Die Bedienung der XXL-Guzzi gestaltet sich einfacher als gedacht: Sanft nimmt der mit Ride-by-Wire ausgerüstete Grosskolben-V2 das Gas an, entwickelt Druck ab 1500 Touren, dreht aber bei Bedarf hurtig nach oben. Nie stören Vibrationen. Geschmeidig lassen sich die sechs Gänge wechseln. Die Kupplungskräfte entsprechen aber dem Fahrzeug­gewicht. Das hohe Drehmoment von 121 Newtonmetern, das schon bei 3000/min abgegeben wird, macht hektisches Schalten überflüssig.Ein feiner Muscle-Cruiser-Antrieb mit gepflegten Manieren ist dieser luft-/ölgekühlte V2, der seine mächtigen Zylinder so unübersehbar in den mit bis zu 180 km/h vorbeirauschenden Fahrtwind reckt. Unübersehbar sind auch die zahlreichen Karbon-Applikationen an der MGX-21. „Nein, wir machen keinen Fake!“, versichert Chefingenieur Francesco Marchetta. Was aussieht wie kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff ist auch CFK, wenn auch nicht aus dem Autoklaven, sondern aus der etwas preisgünstiger produzierenden Presse.Ein Zulieferer aus dem italienischen Triest stellt die CFK-Details für Guzzi her. Insgesamt rund 280 neue Teile waren nach Marchettas Angaben nötig, um auf der technischen Basis der California 1400 mit identischem Motor und Antrieb die MGX-21 entstehen zu lassen.Extrem, aber benutzerfreundlich Um das bei langsamer Kurvenfahrt zum plötzlichen Einklappen neigende 21-Zoll-Vorderrad im Zaum zu halten, holte Marchetta einen speziellen, längs eingebauten Lenkungsdämpfer an Bord. Fahren im Schritttempo ist auch damit nicht gerade ein Vergnügen, aber okay. Bei höherem Tempo setzt die Lenkgeometrie ambitioniertem Kurvenfahren keine übertrieben grossen Widerstände entgegen: Die Schräglagenfreiheit vom immerhin 35 Grad ermöglicht reichlich Kurvenspass, selbst Haarnadelkurven lassen sich flüssig absolvieren. Die Bremsanlage mit roten Zangen im karbondesignten Vorderrad überzeugt nicht nur optisch.Die Ergonomie der MGX-21kann durchaus behagen: Der Sitz ist nicht nur niedrig, sondern auch bequem, der Lenker breit und nicht zu hoch montiert, so dass beste Voraussetzungen für gute Fahrzeugbeherrschung gegeben sind. Wie gut die Aerodynamik bei sehr hohen Geschwindigkeiten funktioniert, konnten wir nicht überprüfen, da beim Test zwischen Mailand und Mandello del Lario kaum über 120 km/h möglich waren. Doch ein solches Tempo ist ja durchaus artgerecht, und dabei gab es keinerlei Grund zur Klage.Peripherie stilecht und premium Voll zufrieden kann man auch mit der funktionalen Ausstattung dieser extremen Guzzi sein: Die Bordcomputer-Bedienung erfolgt vom Lenker aus, es gibt LED-Tagfahrlicht sowie einen hochwertigen, von der California übernommenen LED-Scheinwerfer. Die Klangqualität der Audioanlage geht ebenfalls in Ordnung. Die Geschwindigkeitsregelanlage lässt sich fein dosieren und hält zuverlässig das vorgewählte Tempo. Eine leicht zugängliche USB-Buchse findet sich mittig im Cockpit. Die Gestaltung der beiden Rundinstrumente mit den zentralen LC-Displays ist chic, ihre Ablesbarkeit bei hellem Licht aber eingeschränkt. Sehr gut ist sie nur mit direkter Sonne von hinten.Die grosse Show, nicht die grosse Reise Und Reisen? Nun ja, das mag gehen bei Leuten, die allein mit Scheckkarte und Zahnbürste auskommen; die Seitenkoffer bleiben trotz der Innentaschen recht schmal. Ihre CFK-verzierten Deckel durch voluminösere Exemplare zu ersetzen, wie sie gerade in Entwicklung sind, könnte mit Sicherheit helfen. Doch stimmt die elegante Linie dann noch? Wir bezweifeln es. Und wird Guzzi dann mehr als drei Kilogramm Zuladung je Koffer gestatten? Geschenkt. Eine Moto Guzzi MGX-21 kauft man nicht als Ersatz für eine BMW R 1200 RT. Sondern zusätzlich. So ein ausgeflipptes Motorrad haben die Bayern nämlich nicht im Programm. Die unbestrittene Sonderstellung in der Biker-Welt hat allerdings ihren Preis: 24’890 Franken will der Guzzi-Händler für die MGX-21 sehen. [gallery link=“file“ indents=“true“ ids=“80442,80443,80444,80445,80446,80447p;

FazitEin mutiger Entwurf ist die MGX-21 von Moto Guzzi, und zwar von vorne bis hinten. Dabei kommen die funktionalen Aspekte nicht zu kurz, denn die Fahreigenschaften sind gut, auch wenn Langsamfahren Gewöhnung erfordert. Die MGX-21 könnte Erfolg haben in einem Land, in dem sich extrovertierte Motorräder wie die Harley-Davidson Breakout im Vorderfeld platzieren können.

 

Moto Guzzi MGX-21Hubraum: 1380 ccmLeistung: 96 PS bei 6500/minGewicht: 356 kg fahrfertigPreis: 24’890 FrankenVerkehrsabgabe: 60 bis 453.60 Fr./JahrAUF DEN PUNKT GEBRACHTFür extrovertierte Töfffahrer ist diese Guzzi beinahe unschlagbar: Konsequent gestylt, mit einem chicen Materialmix fein ausstaffiert und eben kein Töff, der an jeder Ecke steht und schon 113 Jahre gebaut wird.Plus-Minus+ Geschmeidiger Grosskolben-V2+ Gelungener Antriebsstrang+ Gute Bremsanlage mit Top-Optik+ Gediegene Ausstattung+ Viel Schräglagenfreiheit- Hohe Kupplungskräfte- Sehr schmale Gepäckbehälter- Gewöhnungsbedürftig bei SchritttempoIMPORTPassionemoto SA, Via Vedeggio 4, 6928 Manno TI, www.guzzimoto.ch
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