Reise: Gran Canaria

Auf Gran Canaria ist immer Reise-Zeit! Hier gibt es ein 80 Kilometer langes Schnellstrassennetz – und ansonsten beinahe nur kleine Strässchen mit gut dosierten Kurven.
— Text: Hélène Lundgren — Fotos: Binge Eliasson und Hélène Lundgren
Der Fotograf Binge Eliasson und ich treffen uns in der Garage des Schweden Krister Carlsson in Las Palmas (Gran Canaria / E). Er verleiht Motorräder und bietet zudem auch geführte Touren über die kanarische Insel an.

An der äussersten nordwestlichen Ecke der Insel Gran Canaria befindet sich die kleine Stadt Sardina del Norte. Die kleine Bucht ausserhalb ist als Schnorchelziel berühmt, mit Blick auf den Strand gibt es auch ein wirklich gutes Fischrestaurant La Pizarra.
Gran Canaria hat viele schöne Strassen, aber man muss wissen, wo sie sind. Es ist schon vorgekommen, dass die Leute Motorräder gemietet haben, dann aber nur auf den grossen Strassen gefahren sind, weil sie nicht wussten, wo man die schönsten Strecken findet. Deshalb ist es für viele ein Vorteil, bei einer geführten Tour dabei zu sein, sagt Krister Carlsson, der schon seit 1984 auf der Insel lebt.
Keine Fliegen
Auf einer Harley-Davidson Dyna Switchback rollen wir rasch aus Las Palmas heraus. Krister begleitet uns, und in der Bar Nardi Cafeteria legen wir den ersten Kaffeestopp ein. Hier treffen sich die Biker von Las Palmas am Wochenende, bevor sie auf Tour gehen. Viele Motorradfahrer verabreden sich hier und es ist klasse, dass man hier das ganze Jahr über fahren kann. Gran Canaria hat ein mildes Klima. Und es gibt keine Fliegen, so dass man meist mit offenem Visier fahren kann. Viele Strecken haben ausserdem Leitplanken, um Motorradfahrer zu schützen, berichtet Krister.

Wenn man Agaete in Richtung Süden auf der alten Strasse an der Westküste verlässt, erlebt man eine spektakuläre Landschaft.
Es dauert nicht lange und schon finden wir uns auf den ersten kurvigen Nebenstrassen wieder. Wir folgen einem Tal und die Strasse führt uns bald in die Berge hinauf. Die Luft wird kühler, während wir die Stadt Santa Brigida und den 200 Meter tiefen Vulkankrater Caldera de Bandama auf unserer Fahrt zum Aussichtspunkt Pico de Banda passieren. Hier geniessen wir die tolle Aussicht über das Tal mit seinen Olivenbäumen und Weinbergen. Allmählich meldet sich der Magen, es wird Zeit zum Essen. Glücklicherweise befinden sich hier in der Gegend einige gute Restaurants. Wir entscheiden uns für das Casa Martell, welches bereits in der fünften Generation geführt wird. Eine gute Entscheidung, vor allem die Desserts sind wärmstens zu empfehlen. Während wir eines davon geniessen, beginnt Krister wieder über seine neue Heimat zu plaudern.
Im Winter würden praktisch alle Einheimischen hinauf in die Berge fahren und an den Sommer- Wochenenden ziehe es die meisten hinunter zum Strand. Das führe dann dazu, dass man in den grösseren Städten fast immer problemlos Parkplätze finden könne, erklärt unser Guide.
Fernando Alonsos Bar
Wir fahren weiter nach Teror. Die Bar Paco ist ein weiterer beliebter Biker-Treffpunkt, sogar die Formel-1-Legende Fernando Alonso war hier regelmässig zu Gast. Zumindest eine Zeit lang, denn seine Ex- Frau stammt ursprünglich aus diesem Dorf. Noch immer pilgern einige Fans hierher, stets in der Hoffnung, ihr Idol zu treffen.
Doch es gibt einen viel triftigeren Grund, um in die hübsche Fussgängerzone mit den pittoresken Balkonen und dem Marktplatz Plaza del Piño zu pilgern: Die Basilika aus dem Jahr 1767 gilt als Wallfahrtsort, da sie der «Virgen del Pino» (Jungfrau von der Pinie) geweiht worden ist. Schon seit mehr als 500 Jahren strömen alljährlich Anfang September Heerscharen von Gläubigen in dieses Bergdorf auf Gran Canaria hinein, um ihrer zu gedenken. Es gilt als das wichtigste religiöse Ereignis auf den Kanaren.
Uns muss eine kurze Besichtigung reichen, denn es geht weiter nach Firgas. Dort halten wir, um eine 30 Meter lange Treppe mit einem rieselnden Wasserfall, Blumen und einem Gedenkbrunnen zu bewundern. Auch auf der Strasse schauen wir uns um, denn dort sind Miniaturansichten aller sieben kanarischen Inseln mit ihren typischen Landschaften fixiert. Zusätzlich gibt es Schilder aus allen Gemeinden und hübsche, bunte Bänke.

Rast in der kleinen Stadt Firgas. Hier befindet sich die Firgas- Wasserabfüllfirma, die ihr Wasser aus einem Brunnen bezieht, der seit 500 Jahren genutzt wird.
Bekannt ist Firgas ausserdem für seine Wasserquelle, die schon seit mehr als 500 Jahren genutzt wird und aus der täglich rund 200 000 Liter Mineralwasser in Flaschen abgefüllt werden, die auf den Inseln verkauft werden. Dann geht es für uns auch schon weiter in Richtung Küste, deren Anblick wir nun besonders geniessen, da wir beobachten können, wie die Sonne allmählich hinter den Bergen untergeht.
Holprige Schotterstrasse
Kurz hinter Agaete schlängelt sich eine etwas holprige Schotterstrasse ins Tal hinein und bringt uns in die Villa Las Longueras, wo wir die Nacht verbringen werden. Es handelt sich dabei um einen alten Bauernhof, der Aussen von majestätischen Bergen umgeben und im Inneren mit schönen Möbeln geschmückt ist. Er wird heute von einer Adelsfamilie in der fünften Generation betrieben. Im Laufe der Jahrzehnte waren manche Minister, Bischöfe und berühmte Toreros hier zu Gast. Bis heute wird im Garten fast alles angebaut, was benötigt wird. Wir sind vor allem von den orangen Avocados sehr angetan.
Ganz in der Nähe verläuft auch der alte königliche Wanderweg «Caminos Reales». Viele Touristen machen sich von hier aus auf den Weg zu einer Tageswanderung hinauf ins Naturschutzgebiet. In Anbetracht der Uhrzeit verzichten wir jedoch darauf und geniessen lieber ein Glas Wein unter den funkelnden Sternen. Krister ist zurück nach Las Palmas gefahren, und wir geniessen die herrliche Ruhe.
Orangen direkt vom Baum
Am nächsten Morgen scheint die Sonne, und Binge und ich laufen hinauf zum schönen Kaktusgarten hinter dem Haus, wo gigantische Kakteen mit ungewöhnlichen Mustern wachsen. Das Frühstück besteht aus frischen Früchten. Kurz vor der Abfahrt pflücke ich mir noch einige Orangen direkt vom Baum als gesunden Snack für unterwegs. In der frischen Morgenluft duftet das ganze Tal nach Orangenbäumen und auch Eukalyptus. Hier gibt es fünf Vegetationszonen, was einzigartig ist.
Dann geht es hinauf ins Dorf San Pedro, mit Halt an dem Bauernhofladen La Laja. Hier gibt es heute Mangos und Avocados im Angebot. Ausserdem wird Wein produziert, und hier existiert sogar Europas einzige Kaffeeplantage. Man erzählt uns, dass die Kaffeebohnen erst nach drei Jahren gepflückt werden und sieben Kilogramm dieser Bohnen für ein Kilogramm Kaffee nötig seien. Die Bohnen werden 30 Tage lang getrocknet und später von Hand in eine spezielle Maschine gegeben, die sie dann röstet. Der Kaffee wird nur direkt vor Ort und im Kaufhaus Corte Inglés in Las Palmas verkauft.

Das Agaete-Tal hat fünf verschiedene Vegetationszonen, die kleine Kaffeeplantagen ermöglichen. Das Agaete- Tal bietet sich auch zum Wandern an.
Der Hof verfügt auch noch über eine Wasserquelle, aus der Mineralwasser mit wenig «Blubb» heraussprudelt. Wir setzen uns noch einen Moment in die Sonne und trinken eine Tasse dieses einzigartigen Kaffees, der sehr mild schmeckt und perfekt zu einem so wunderbaren Morgen passt.
Frische Sardinen in der Strandbar
Nach der Koffeinspritze nehmen wir Kurs auf die nordwestliche Küste von Gran Canaria und passieren unterwegs allerhand bunte, viereckige Häuser. Am Wegesrand stehen zahlreiche Gewächshäuser mit Metallböden, an denen kaputte Plastikfolien im Wind flattern. Unser nächstes Ziel ist das ruhige Fischerdorf Sardine del Norte, das sich in einer kleinen Bucht versteckt, wo bei unserem Eintreffen hohen Wellen an den Strand schlagen. Wir setzen uns an die kleine Strandbar direkt am Meer und bestellen einen Teller frisch gefangener Sardinen. Nach dem mehr als leckeren Imbiss beschliesse ich einen kurzen Sprung ins Meer zu wagen, schliesslich ist es schön warm und die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite. Eine tolle Entscheidung. Später erfahre ich, dass der Ort bei Schnorchlern und Tauchern äusserst beliebt ist, da man hier Stachelrochen, Seepferdchen und riesige Seeanemonen entdecken kann.

Cruz de Tejeda. Das ist der höchste Punkt, bevor es abwärts geht. Ein schöner Ort, um zu Mittag zu essen oder einfach nur die Landschaft zu geniessen.
Wir fahren weiter in das Dorf Las Nieves und halten abermals an einem ruhigen Strand, wo sich einige Einheimische in der Sonne aalen. Ich bin überrascht, dass man von hier aus auf Teneriffa schauen kann. Allerdings entdecke ich auch die gut gefüllten Schiffe, die Touristen auf die Nachbarinsel bringen. Das Panorama ist einzigartig: Die Berge liegen in einem leichten Dunst, für den die Meeresgischt verantwortlich ist – und auch die Strasse ist ein Genuss. Hier beginnt meine Lieblingsstrecke auf Gran Canaria: Sie führt uns entlang einer beeindruckenden Küstenlandschaft immer wieder an steile Klippen. Leider sind auch viele grosse Lkw unterwegs, die einem immer wieder die Sicht nehmen. Binge, mein Fahrer, lässt sich dadurch aber nicht irritieren und tanzt förmlich durch die Kurven. Es ist wunderbar zu sehen, wie leicht er die schwere Harley über den Asphalt führt.

Eine Sache, die Gran Canaria so grossartig für Reisende macht, ist, dass die meisten Restaurants den ganzen Tag über geöffnet sind.
Bald darauf passieren wir gigantisch grosse Bananenplantagen und verdrängen, dass die Früchte aus hässlichem Kunststoff herausragen. Vor Mogan wechseln wir auf eine kurvenreiche Strasse, die uns wieder hinauf in die Berge führt. Die Sonne ist bereits im Sinkflug, und die Gipfel der Berge glühen im Abendrot. Wir rollen in einen Kiefernwald hinein. Die Äste scheinen direkt an der Hangkante zu wachsen.

In der Abenddämmerung erreichen wir die Stadt Ayacata, das Zentrum der Mandelblüte im Februar.
Allmählich wird es dunkel und Binge gibt Gas. Die Strasse ist nun sehr schmal und schlängelt sich an kleinen Seen vorbei. Am Dorf Ayacata biegen wir nach Westen in Richtung Tejeda ab und kommen so auf die Strasse GC 605. Als wir auf einer Höhe von 920 Metern an unserem kleinen Hotel ankommen, ist es schon stockdunkel. Die Besitzerin erwartet uns bereits. Zu unserem Glück betreibt sie auch ein kleines Restaurant und wir geniessen es, ihre lokalen Spezialitäten zu kosten: Es gibt eine Brühe, Fleisch mit Bohnen und zum Nachtisch Gofio de Almendras, ein Gebäck aus Mandeln und Gofio, einem Maismehl aus gerösteten Körnern. Sie werden hier gerne und viel von den Einheimischen gegessen, sind für uns Ausländer aber etwas gewöhnungsbedürftig.
Weinberge und Obstplantagen auf Gran Canaria
Am nächsten Morgen wachen wir mit bestem Wetter – blauer Himmel, viel Sonnenschein – und entsprechend gut gelaunt auf. Wir geniessen die fantastische Aussicht über die Weinberge und die Obstplantagen, die sich weit ins Tal hineinziehen. Im Hintergrund ist die 1811 Meter hohe, charakteristische Spitze des Roque Noble gut zu erkennen. Als erstes machen wir uns auf den Weg hinein ins Dorf Tejeda, an dessen Hauptplatz eine kleine, strahlend-weisse Kirche steht. Am Ortsrand schlängeln sich Passionsblumen an einer Wand entlang und an den Hängen gibt es für Geschichtsfans Höhlen, Gräber mit Felszeichnungen und allerhand weitere archäologische Überreste zu entdecken.

Eine typische Strasse auf Gran Canaria, die in den Wolken verschwindet.
Mittelpunkt der Insel
Wir aber packen unsere Sachen zusammen und fahren auf einer dieser feinen Bergstrassen hinauf in den 1500 Meter hoch gelegenen Ort Cruz de Tejada, der den Mittelpunkt der Insel markieren soll. Hier treffen wir Krister wieder. Er hat ein paar seiner Kumpels aus dem hiesigen Harley-Davidson Chapter mitgebracht: Carlos Castilla taucht auf einer schnittigen, mintgrünen Road King aus dem Jahr 1994 auf und Jose Rafael Garcia Fiol erscheint auf einer leuchtend orangefarbenen Road Glide Econ von 2009. «Wir haben über 80 Mitglieder. Zu unseren monatlichen Treffen erscheinen in der Regel zwischen 30 und 50», erklärt uns Krister. «Wir alle sind motorradverrückt und fahren immer auf unseren Harleys in den Urlaub. Ein paar von uns sind von hier aus sogar schon hoch zum Nordkap gestartet», ergänzt er stolz.

Aussicht von der Westküstenstrasse aus mit Blick hinüber nach Teneriffa. Unten links: Eine weitere Panoramastrasse.
Gemeinsam fahren wir weiter. Nicht weit entfernt sehen wir einen Hügel aus schwarzem Lavagestein und Kiefern, die aus einem glücklicherweise erloschenen Vulkankrater herauszuwachsen scheinen. Bei Artenara erfrischen wir uns mit einigen kühlen Getränken und geniessen den wunderbaren Ausblick auf die sonnige Berglandschaft. Entspannt cruisen wir hinunter in Richtung Tejeda und passieren dabei ungewöhnliche Felsformationen, die wir gestern bei der Fahrt in der Dunkelheit gar nicht wahrgenommen hatten. Die Landschaft erinnert mich sehr an den Wilden Westen Amerikas.
Wie viele Kurven gibt es auf Gran Canaria?
In Santa Lucia ist unser Mittagessen fällig. Es gibt Megaportionen Fleisch und Fisch. Während wir es uns gut gehen lassen, sinnieren wir darüber, wie viele Kurven es auf Gran Canaria wohl insgesamt geben mag. «Das ist hier nicht Holland», lautet der trockene Kommentar von Kellnerin Eva. Auf unseren erstaunten Blick fängt sie lauthals an zu lachen. Nach dieser ausgiebigen Pause erreichen wir die «Strasse der 1000 Kurven». Es ist wohl die bekannteste Panoramastrecke Gran Canarias und verbindet Santa Lucia mit Agüimes. Plötzlich bekommt José allerdings ein Problem mit seiner Benzinpumpe und Krister beschliesst, bei ihm zu bleiben, um ihm zu helfen. Daher setzen wir die Erkundung alleine fort und fahren in Richtung Las Palmas.

Stadt Tejedal liegt auf der Südseite der Insel. Sie ist berühmt für die Mandeln und die guten Restaurants mit spektakulärer Aussicht. Auch sie ist ein schöner Ort zum Übernachten.
Unterwegs halten wir noch einmal in dem rustikalen Fischerdorf San Cristobal. Hier toben die Wellen und die Häuser strahlen äusserst farbenfroh in der Sonne. Theoretisch könnte man von hier aus immer der Promenade entlang auch zu Fuss zurück in die Hauptstadt gehen – die Silhouette ist schon gut zu erkennen. Doch wir schwingen uns natürlich wieder auf die Harley und finden sogar problemlos zu Kristers Garage zurück. Dort stellen wir unser Leihbike ab und machen uns dann – nun doch zu Fuss – auf den Weg zu unserem Hotel, das direkt am Strand Las Canterneras liegt.
Papas arrugadas
Es ist der letzte Abend auf der Insel und da wir in Feierlaune sind, bestellen wir einheimischen Wein, dazu gegrillten Oktopus, Peperoni und «papas arrugadas ». Dies ist eines der traditionellen Nationalgerichte Gran Canarias. Dabei handelt es sich um Pellkartoffeln mit Salzkruste, die mit Mojo verde und Mojo rojo, den beiden typisch kanarischen Saucen, serviert werden. Beim Essen lassen wir die Tage Revue passieren und Binge gesteht: «Es ist doch eine Schande. Ich war schon über 20 Mal hier und wusste bisher nicht, wie toll es ist, mit dem Motorrad über die Insel zu cruisen.» Gut, dass er es jetzt weiss.
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