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Tempo 80 in Frankreich – Widerstand regt sich

Verkehrspolitik

In Frankreich soll auf Landstrassen ab Juli die Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde statt der bisherigen 90 gelten. Doch gegen Tempo 80 regt sich Widerstand im Volk.

Wie der ADAC mitteilt, reudziert Frankreich die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf Landstrassen zum 1. Juli 2018 von 90 auf 80 Kilometer pro Stunde. Die Massnahme betrifft zweispurige Strassen ohne trennenden Mittelstreifen. Das sind zirka 400’000 Kilometer. Strecken, bei denen in jede Richtung zwei Spuren führen, sind von der Temporeduktion ausgenommen. Hier darf weiterhin mit 90 km/h gefahren werden. Unverändert bleiben sollen auch die Geschwindigkeitsbeschränkungen in Ortschaften, auf Schnellstrassen und Autobahnen. Dort sind 50 km/h, 110 km/h bzw. 130 km/h erlaubt.

3469 Verkehrstote im Jahr 2016

Hinter der Drosselpolitik steht gemäss der Nachrichtenagentur auto-medienportal.net Frankreichs Premierminister Edouard Philippe, der damit die Zahl der Verkehrstoten von 3469 im Jahr 2016 senken will. Seit einem Tiefstand von 3268 Verkehrsopfern im Jahr 2013 steigt die Zahl der tödlichen Unfälle Jahr für Jahr wieder an. Auch im internationalen Vergleich schneidet Frankreich schlecht ab: 2015 erfasste das EU-Statistikamt Eurostat dort 5,4 Verkehrstote pro 100’000 Einwohner; in Deutschland waren es 4,3. Nach Meinung des Premierministers könnte die neue Massnahme ,,zwischen 350 und 400 Menschenleben pro Jahr“ retten, denn mehr als die Hälfte aller tödlich verlaufenden Verkehrsunfälle in Frankreich passieren auf Landstrassen. Als weiteren Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit will Philippe künftig härtere Strafen gegen Autofahrer einführen, die beim Fahren das Handy benutzen oder den Zebrastreifen ignorieren. Hat zum Beispiel jemand am Steuer sein Handy in der Nähe einer Schule, eines Kindergartens oder Zebrastreifens am Ohr, droht ihm der Führerscheinverlust.

59 Prozent gegen neues Limit

Obwohl laut Meinungsumfragen 59 Prozent aller Franzosen das neue Tempolimit ablehnen, bleibt Edouard Philippe hart: ,,Wenn ich unpopulär sein muss, um Leben zu retten, dann akzeptiere ich das.“ Dem Vorwurf, die Regierung wolle sich mit Bussgeldern eine neue Finanzquelle erschliessen, begegnet er mit dem Hinweis, dass diese Gelder in einen Fonds fliessen sollen, der für Einrichtungen bestimmt ist, die Verkehrsopfer versorgen.

Unausgewertete Tempo-80-Versuche

Gegenwind bekommt er zusätzlich sowohl von Automobilverbänden als auch von der Opposition. So beklagte Daniel Quéro, Boss des Automobilverbands ,,40 millions d’automobilistes“ (40 Millionen Autofahrer), eine ,,eher politische als rationale Entscheidung“. Auch die gestiegene Zahl von Radarfallen seit 2014 habe wenig zu mehr Sicherheit beigetragen. Ebenso barsche Kritik äussert die rechtspopulistische Front National (FN) von Marine Le Pen. Sie kritisiert das Vorhaben, weil angeblich Experimente mit Tempo 80 auf Teilstrecken bisher nicht ausgewertet worden seien. Der frühere Innenminister Bernard Cazeneuve hatte 2015 drei Teststrecken ausgewählt, auf denen Tempo 80 galt. Als wissenschaftliche Studie taugte das Experiment jedoch nicht, da es mit zwei Jahren zu kurz gewesen war.

Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich

Währenddessen sammelte 40 millions d’automobilistes 600’000 Unterschriften gegen die Reform und führte einen Vergleich mit Deutschland ins Feld, wo bekanntermassen Tempo 100 auf Landstrassen gilt. Zugleich aber gab der Verband zu: ,,Die meisten Deutschen respektieren die Geschwindigkeitsbeschränkung genau – im Gegensatz zu uns Franzosen.“

Widerstand in der Schweiz

Das neue Tempolimit in Frankreich gilt also erst ab der Feriensaison. Es bleibt abzuwarten, ob die 600’000 Unterschriften in Frankreich etwas bewirken können. In der Schweiz konnte das zusammenstehende Töff-Volk 2003 jedenfalls bewirken, dass das vom damaligen Verkehrsminister Moritz Leuenberger vorgeschlagene generelle Tempolimit von 80 km/h für Motorräder bis heute nicht mehr weiter verfolgt wurde… Zudem ist aus der grossen Demofahrt nach Bern die heutige Schweizer Töfffahrer-Vereinigung IG Motorrad (Interessengemeinschaft Motorrad), deren Medienpartner TÖFF-Magazin ist, entstanden.

Die Stärken eines demokratischen Rechtsstaats

Nicht verhindern liess sich dagegen eine generelle Verschärfung der Verkehrspolitik, deren Massnahmenpaket später von „Vision Zero“ (für null Verkehrstote) zu „Via sicura“ (sichere Strasse) umgetauft wurde. Doch auch hier zeigt sich, dass sich in einem Rechtsstaat etwas bewirken lässt, wenn die Realität mit klarem Blick betrachtet und mit Verstand beurteilt wird. Wenn also eine Mehrheit (oder auch eine Minderheit von kundigen Personen) ihre Zweifel über Beschlossenes trotz scheinbarer Aussichtslosigkeit stetig und unermüdlich zum Ausdruck bringt. Denn inzwischen hat der Bund ja punktuelle Anpassungen von Via sicura zur Diskussion gestellt.

Anpassungen von Via sicura

Demnach könnte bei der Regelung von Raserdelikten auf eine Mindestfreiheitsstrafe verzichtet, die Mindestdauer des Führerausweisentzugs auf sechs Monate gesenkt und den Gerichten bei der Anwendung des Rasertatbestands ein grösserer Ermessensspielraum eingeräumt werden. Aufgrund des Evaluationsberichts stellt der Bundesrat zudem zur Diskussion, die Regelung zum Rückgriff der Haftpflichtversicherer bei Alkohol- oder Raserdelikten anzupassen. Die heutige Rückgriffspflicht würde demnach wieder in ein Rückgriffsrecht umgewandelt, wie dies vor Via sicura der Fall war. 

 Bei zwei Massnahmen, deren Inkrafttreten ab 2019 geplant war, stellt der Bundesrat zur Diskussion, auf eine Umsetzung zu verzichten: Bei Alkohol-Wegfahrsperren für einschlägig vorbestrafte Personen sowie bei Datenaufzeichnungsgeräte (Blackbox) für Personen, die wegen Tempoüberschreitungen ihren Führerausweis abgeben müssen, soll verzichtet werden. Für beide Massnahmen zeigte sich im Zuge der Vorbereitungsarbeiten, dass der Aufwand im Vergleich zum Nutzen zu hoch ist.Weitere spannende TÖFF-Magazin-Artikel zum Thema:Von „Vision Zero“ zu „Via sicura“Kommentar zu „Via sicura“Bilanz zu „Via sicura“Wenn Fahrkönnen als Risiko beurteilt wird Die Schweizer Vereinigung der Motorradfahrer:www.ig-motorrad.ch NZZ-Artikel zur Demofahrt von 2003:Töfffahrer gegen „Vision Zero“

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