Test: BMW R 1300 RT – raffiniert Souverän

BMW hat seinem Full-Size-Tourer RT nicht nur den neuen 1300er-Boxer spendiert, auch das Arrangement drum herum ist komplett neu… und wurde durch eine Flut neuer Features ergänzt. Erster Test der neuen BMW R 1300 RT.
Traditionsgemäss erhalten bei BMW Motorrad jeweils kurz nach der Lancierung einer neuen GS-Generation auch die Boxer-Schwestern R, RS und RT den neu entwickelten Antrieb. Im Vorliegenden Fall handelt es sich um den 1300er-Boxer mit einlassseitig variabler Ventilsteuerung. Auch bei der ab Sommer ab 21 900 Franken verfügbaren RT leistet das Shift-Cam-Aggregat maximal 145 PS und drückt ein Drehmoment von 149 Nm. Weil wir den neuen Boxer-Antrieb schon mehrfach und auch in seinen Details beleuchtet haben, gehen wir an dieser Stelle nicht weiter auf ihn ein, sondern konzentrieren uns auf die anderen neuen Features, wobei wir vor dem Hintergrund der Fülle an Varianten und Zubehörpaketen nicht alle Konfigurationskombinationen werden abdecken können.
Neuerungen für alle Varianten der BMW R 1300 RT
Neben der Basis in weiss uni werden die Varianten «Triple Black», die von uns gefahrene «Impulse» in Racing-blau und das Spitzenmodell «Option 719 Camargue» verfügbar sein. Wobei für alle Varianten folgende Entwicklungsziele formuliert wurden: Leichter im Design und damit weniger «einschüchternd» für potenzielle Interessenten, die sich den Ritt auf ¬einer RT aufgrund der respektablen Dimensionen nicht so richtig zutrauen, dazu generell zugänglicher und mit einer stärkeren Spreizung von Komfort-Touring bis hin zur sportlich-dynamischer Landstrassen-Performance.

Mächtig und trotzdem elegant: die R 1300 RT ist auch optisch ein Statement. Die Beifahrer-Rückenlehne am Topcase ist übrigens beheizbar.
Tatsächlich kommt die neue RT optisch schlanker und leichter rüber. Die einzelnen Baugruppen wirken nicht mehr einfach nur aneinandergeschraubt, sondern wurden sauber in einem integrativen Design ineinander verschmolzen. Eindeutig schlanker wirkt dabei die bei der 1250er-Vorgängerin noch gigantisch wirkende Frontpartie. Wobei laut BMW trotz der neuen Linienführung keine Einbussen beim Wind- und Wetterschutz zu beklagen seien.
Eine entscheidende Rolle spielen dabei die neuen, verstellbaren Winddeflektoren (optional). In der eingefahrenen Normal-Position sorgen sie für eine optisch luftig wirkende Front sowie für Frischluftzufuhr im Bereich des Bauchs sowie der Brust. Ist man dagegen im Schnellzugtempo unterwegs oder einer Schlechtwetterfront ausgesetzt, führen die hochgeklappten Deflektoren den gewohnten Wind- und Wetterschutz herbei. Vergleichsweise adrett also bei Normalfahrten und hinter einem mächtigen Schutzwall, wenn es abgeht. Wobei auch das Windschild selbst komplett neu designt wurde und deutlich wirkungsvoller sein soll.
Weitere Neuerungen, die sämtliche Modellvarianten betreffen, sind die Sitz- bzw. Griffheizung, die neu deutlich schneller auf Temperatur kommen sollen, das belüftete Smartphone-Staufach oben am Tank mit USB-C-Ladebuchse, das nun serienmässige «Keyless Ride», das ebenfalls standardmässig verbaute adaptive Fahrwerk «Dynamic ESA» sowie die Li-Ion-Batterie.
Im Interesse einer optimierten Sportlichkeit wurde das ergonomische Dreieck leicht modifiziert. Zwar blieb die Distanz zwischen der flach im Raum liegenden Sitzfläche (780 mm) und den Fussrasten unverändert, die Lenkerenden rückten jedoch etwas weiter nach vorn und sind zudem eine Prise weiter auseinander angeordnet worden.
R 1300 RT: Optionen-Fülle für noch mehr Kompetenz
Zu den vielfältigen und – wie bei BMW üblich – oft nur in Kombination mit Zubehörpaketen erhältlichen Optionen zählen etwa der radargestützte Totwinkelwarner, der automatische Schaltassistent «ASA», das neu stufenlos verstellbare, variable Koffersystem oder das «Headlight Pro»-Lichtsystem mit insgesamt knapp 50 LED-Elementen, die je nach Fahrzustand in Clustern aktiviert werden und so den jeweils fahrrelevanten Sektor vor der RT ausleuchten. Abschliessend zu nennen sind bei den Optionen drei verschiedene Audiosysteme, der Fahrmodus «Dynamic Pro» mit «variabler Federrate» vorn sowie diverse Features (wie Griffheizung), welche das Fahrerlebnis des Sozius steigern sollen.

Die dynamische Temporegelung mit Bremsfunktion ist serienmässig. Optional kann das Radar-System um die Funktionen Front- und Heckkollisionswarnung sowie Spurwechselwarnung erweitert werden.
Wie bereits erwähnt, sind wir heute mit der Modellvariante Impulse unterwegs (ab Fr. 23 690.–). Ihre Spezialitäten sind u. a. die dunkelverchromte Auspuffanlage, der Schmiedelenker sowie die oben beschriebenen, seitlichen Winddeflektoren. An Bord sind an unserer Testmaschine zudem die Optionen Totwinkelassistent, ASA, variables Koffersystem, Audio Pro mit Vierkanal-Sound und damit das Innovationspaket, das Dynamic Paket und das Komfort-Soziuspaket. Entsprechend konfiguriert bringt es unsere Test-RT auf einen Kaufpreis von happigen Fr. 31 300.–. Und jetzt, da wir genau wissen, womit wir es zu tun haben, können wir loslegen. Auf uns warten die geschwungenen Landstrassen des süddeutschen Bundeslandes Bayern.
Gross, aber eben doch nicht
Aufschwingen geht schon mal problemlos, und mit meinen 174 cm kann ich beidseits knapp beide Stiefelsohlen vollständig ablegen. Ergonomisch fühlt sich im spendabel proportionierten Sattel der RT alles ¬tiefenentspannt an. Wobei der Oberkörper nicht zu 100 Prozent im Lot steht, eine Note Sportlichkeit also nicht von der Hand zu weisen ist. Ich nehme die 1300er vom Ständer und staune, wie leicht das geht. Ich verstaue das Smartphone im praktischen, innenbelüfteten und mit einer Klemmvorrichtung gegen das Umherrutschen versehene Staufach direkt vor mir auf dem Tank und habe ein gutes Gefühl, weil ich weiss, dass das iPhone auch gleich geladen wird.
Der Boxer schnurrt schon willig vor sich hin, ich ziehe die Bremse – antippen allein reicht nicht –, und lege ohne zu kuppeln den ersten Gang ein. Denn wir fahren heute mit dem im Dynamic Paket enthaltenen automatisierten Schaltassistenten ASA – daher der fehlende Kupplungshebel. Mit dem ASA kann man entweder sämtliche Anfahr- und Schaltvorgänge komplett der Elektromechanik überlassen (Modus D) oder halbautomatisch per Schaltimpuls am Fuss zappen (M).
Und dieser Assistent arbeitet – man kann es kaum anders ausdrücken – schlicht begeisternd! Anfahren geht dermassen sanft und reproduzierbar von der Hand, dass es mit der klassischen Prozedur kaum besser hinzukriegen ist. Das wirklich Begeisternde sind für mich aber die Schaltvorgänge im Modus M. Impuls am Schaltfuss, die gewünschte Gangstufe flutscht seidenfein rein und der Vortrieb wird – unabhängig von Last und Drehzahl – so gut wie gar nicht unterbrochen. Ich sage es ungern, aber der Mensch wird das in dieser Sauberkeit nicht hinkriegen. Wobei es mir speziell der besagte, halbautomatische M-Modus angetan hat. Denn er überlässt mir die Entscheidung, wann welcher Gang eingelegt werden soll und nimmt mir einfach den mühsamen Teil der Arbeit ab. Kommt hinzu, dass der vollautomatische D-Modus niemals wissen wird, ob eine Steigung oder eine Kurve vor mir liegt und in der Konsequenz nicht immer die ideale Gangstufe wird treffen können.

Aufgeräumt und funktional sind die Lenkerarmaturen der R 1300 RT. Rechts unten mit dem Schalter M/D.
Clever geschützt auf der R 1300 RT
Bleiben wir bei den Baugruppen, die einem auf Tour das Leben versüssen, wenn sie clever durchdacht und bravourös umgesetzt wurden: Der via Wippschalter stufenlos verstellbare Windschild etwa wurde deutlich verbessert und macht insgesamt einen soliden Job. Dem bei der 1250er-Vorgängerin bei höheren Tempi hinter der Scheibe entstehenden Unterdruck, gegen den man sich abstützen musste, wurde Einhalt geboten, indem vorne unten am Plexi eine Luftschleuse implementiert wurde. Sie bewirkt einen direkt hinter dem Windschild verlaufenden Luftstrom, der besagtes Vakuum neutralisiert und über den Fahrerhelm hinwegströmt.
Dass es sich beim Windschild um ein sehr wertiges Bauteil handelt, ist auch daran abzulesen, dass man es kaum sieht. Einzig die geschwungene Oberkante verläuft bei einem Piloten mit durchschnittlicher Grösse von rund 174 cm horizontal mitten durchs Sichtfeld, was auch der einzige Kritikpunkt ist, den wir bei der RT anzubringen haben. Dieser lässt sich entschärfen, indem man die Scheibe nicht ganz in die oberste Position stellt, sodass knapp über die Kante geblickt werden kann. Der Helm ist dann nämlich noch fast gänzlich vom Fahrtwind geschützt.
- Hübsche Zierelemente an den Rädern unserer «Impulse». Der Sound ist dezent, aber nicht langweilig.
- Die neuen Vario-Koffer sind über das Drehrad stufenlos verstellbar.
Ein Kränzchen wollen wir auch den Deflektoren winden. Und zwar sowohl jenen, die vor den Rückspiegeln angebracht sind und die Elemente sehr effizient von den Händen fernhalten, sowie jene, die unten am Tank angebracht sind und nach oben geklappt werden können. Letztere haben einerseits einen gewichtigen optischen Impact, indem sie der RT – in der wohl am häufigsten verwendeten, eingeklappter Position – viel optisches Gewicht nehmen. Andererseits funktionieren sie auch prächtig, sprich, bei Regen und/oder Autobahntempi halten sie in ausgefahrener Stellung die Elemente zuverlässig vom Piloten fern. Ist man dagegen bei heissen Temperaturen und mittleren bis langsamen Tempi unterwegs, führen sie in der eingeklappten Position angenehme Frischluft zur Bauchregion. Praktisch, aus unserer Sicht, aber nicht zwingend notwendig, ist der radargestützte Totewinkelwarner. Wer die Kunst des Schulterblicks beherrscht, kommt auch gut so klar.
Musik ist und bleibt ein Kompromiss
Auch das System «Audio Pro» konnten wir im Rahmen unserer Testfahrt ausprobieren. Das Audio-Spitzensystem wurde insofern optimiert, als je nach Geschwindigkeit die Tiefen (low speed) oder die Höhen (high speed) forciert werden. Sicher gehört das Audio Pro-Soundsystem zu den besten seiner Art. Überzeugen konnte es uns aber – wie alle anderen, Fahrzeug-montierten Klang-Einrichtungen – nicht. Sprich, man wird sich wegen des Fahrtwinds immer auf einen Kompromiss einlassen müssen. Daher führt auch bei BMW letztlich kein Weg an einem Helm-integrierten Audio-System vorbei, sofern Faktoren wie High fidelity oder auf Dauer erträgliches Volumen für den Piloten von hoher Relevanz sind.

Feudal, flexibel und informativ: das gigantische 10,25-Zoll-TFT (oben) wirkt trotzt seiner Dimensionen alles andere als schwer. Das Bild zeigt zudem das Spitzen-System «Audio Pro».
R 1300 RT: Druck aus allen Lebenslagen
Nein, den 1300er-Shift Cam-Motor haben wir selbstverständlich nicht vergessen. Dieser ist immer da und hält mit seinem omnipräsenten Wesen Druck in Hülle und Fülle bereit. Er ist ein Gentleman in der Ansprache und gibt seinen Dampf absolut linear und damit jederzeit vorhersehbar von sich. Auch die Drehfreude ist nicht von schlechten Eltern. Von der Schlupfregelung – wir hatten auch regnerische Passagen zu meistern – spürten wir nix, und das ist gut so. Die Soundkulisse ist Segment-konform dezent, lässt aber eine gewisse Kernigkeit nicht missen.

Der Shift-Cam-Boxer glänzt in jeder Drehzahlregion. Der Deflektor über dem Auspuffkrümmer schützt Beine und Stiefel.
Und ja, man spürt schon, dass hier 281 Kilogramm Fahrzeuggewicht bewegt werden müssen. Oder anders ausgedrückt: Das Leistungsgewicht von bei der RT knapp zwei Kilo pro PS dürfte routinierte Piloten kaum überfordern. Aber nochmal: Power und Druck sind für den vorgesehenen Einsatzzweck in mehr als ausreichenden Mengen vorhanden – inklusive Reserven für feudalen Überholprestige.
Eine Balance zum Verlieben
Eine weitere Stärke der neuen RT ist ihr Chassis und dabei insbesondere die piekfeine Balance. Wenden ist problemlos quasi an Ort und Stelle möglich. Da gibt sich die RT sogar zugänglicher als die nackte R-Schwester. Einlenkmanöver gehen nicht nur mit minimalsten Impulsen harmonisch und präzis von der Hand, auch die Stabilität überzeugt in weiten wie insbesondere auch in engen Radien auf der ganzen Linie. Entsprechend lassen sich Haarnadelkurven im Sattel der RT völlig ungestresst durchfahren. Und auch das Feedback für vorn wie hinten ist vorbildlich transparent. Was auch am sehr guten Reifenmaterial – wir fuhren den Michelin Road 6 – liegen dürfte.
Ein Kränzchen dürfen wir der RT abschliessend auch in Bezug auf ihre High-Speed-Stabilität winden: Selbst beim Tempobolzen jenseits der 220-km/h-Marke auf der deutschen Autobahn lässt sich die RT an diesem windigen Tag kaum aus der Ruhe bringen. Wobei sie dann schon ein Quäntchen lebhafter wird, je weiter oben das Windschild positioniert wird. Wobei der Effekt etwas deutlicher auftritt, wenn der «indirekt die Federrate straffende» Modus Dynamic Pro vorgewählt ist. Das Thema der Bremsen schliesslich, ist schnell abgefeiert: vorn wie hinten in jeder Hinsicht bon, gut, prima!
- Bei BMW weiss man, dass beim Kauf eines Motorrads vom Schlag einer RT der Sozius ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Entsprechend wurden Features wie die beheizbaren Griffe oder neue Fussrasten implementiert.
- Neben dem komfortablen Fahrersitz, den es optional in diversen Ausführungen gibt, ist auch der Sozius-Sitz beheizbar.
- Die Sportbremse wird ihrem Namen mehr als gerecht.
BMW R 1300 RT, das Fazit:
An Souveränität ist die neue 1300er-RT kaum zu überbieten. Sie strahlt Prestige aus, hat in jeder Hinsicht eine – auch sportlich betrachtet – überzeugende Fahrdynamik und glänzt dabei insbesondere mit ihrem bestechenden Mix aus spielerischer Handlichkeit und astreiner Stabilität. Die RT sieht neu auch nicht nur leichter aus, sie fühlt sich fahrdynamisch auch definitiv entsprechend leichtfüssiger an. Und hat dabei kein bisschen ihrer prämierten Tourentauglichkeit eingebüsst.
Info: bmw-motorrad.ch