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Test: Ducati Panigale V4S für 2022 mit Video

Ducati Panigale V4S

An allen Ecken und Enden hat Ducati seine Galionsfigur Panigale V4S für 2022 nachgeschärft. Wir fuhren die ab sofort für 31’790 Franken erhältliche Primadonna in Jerez und stellen fest: Die Rote ist nochmals zugänglicher geworden, jedoch ohne bei der Performance eingebüsst zu haben.

Kennt ihr das? Ihr beisst in ein saftig-dampfendes Stück Pizza. Ihr wisst, dass es eine «Diavola» ist, aber diesmal schmeckt sie anders. Viel intensiver. Alle Zutaten sind klar herauszuspüren. Und dennoch ist der Geschmack nicht penetrant – mit Zunder, aber nicht überschärft. Genauso verhält es sich mit der jüngsten Entwicklungsstufe der Panigale V4S von Ducati. Doch jetzt eines nach dem anderen…

 

Bereits 2020, also zwei Jahre nach Markteinführung der Panigale V4 bzw. dem Paradigmenwechsel vom dogmatischen V2- auf das MotoGP-inspirierte V4-Konzept, gab es für die grosse «Pani» ein umfassendes Update. Das Ziel lautete dabei klar: mehr Zugänglichkeit. Dass dies keine leere Worthülse war, davon konnten wir uns im Rahmen der Pressevorstellung in Bahrain überzeugen.

 

Von allem mehr

Für 2022 geht Bologna mit der Panigale V4 nun nochmal einen Schritt weiter und optimiert alle relevanten Baugruppen, sprich Aerodynamik, Ergonomie, Motor, Chassis und Elektronik. Als Resultat soll 2022 eine auf dem Track noch schnellere, intuitivere und nochmals zugänglichere Panigale V4 anrollen. Die Preisgestaltung schon mal vorweg: 25‘900 Franken sind für die Standard, 31’790 Franken für das S-Modell aufzubringen. Beide sollen bereits im Dezember 2021 verfügbar sein.

Ducati Panigale V4S

Auf den ersten Blick scheint optisch – bis auf die jetzt in Schwarz statt in Weiss gehaltenen Schriftzüge – alles beim Alten. Wer jedoch genauer hinschaut, entdeckt beim 2022er-Modell die neuen Winglets, die – zumal im «Doppeldecker»-Stil ausgeführt – kompakter und eleganter daherkommen. Die Effizienz der aerodynamischen Komponenten bleibt indes unverändert bei einem Abtrieb von 37 Kilo bei 300 km/h. Und zu den grossen Heissluft-Extraktoren an den Seitenschalen gesellen sich im Unteren Bereich neu je zwei Öffnungsschlitze, über die – auch hier via Unterdruck – Heissluft aus dem Motorraum abgesaugt wird. Auch Schalenbereich unter dem Motor verfügt neu über solche Extraktoren.

 

Ergonomie: zugänglicher

Auch die Ergonomie wurde hinsichtlich des Einsatzes auf der Rennstrecke optimiert. Konkret ist die Sitzfläche neu flacher geschnitten und mit einem neuen Material bezogen – beim S-Modell im frechen Zweifarben-Look. Unter dem Strich sollen sich Piloten aller «Grössen und Formen» besser bewegen können, und in der Bremszone resultiere ein besserer Grip am Allerwertesten. Auch der Tank wurde neu geformt, was nicht nur das Fassungsvolumen um einen Liter steigert, sondern auch das Abstützen mit den Beinen beim Ankern vereinfachen soll. Sogar die Kontaktflächen zu den Unterarmen sollen im Interesse besserer Abstützmöglichkeiten beim Hang-off optimiert worden sein.

Motor: Mehr Power und Raffinesse

Des Hubraum des Euro5-konformem «Desmosedici Stradale» verblieb bei 1103 ccm, die Maximalleistung stieg jedoch um 1,5 auf neu 215,5 PS bei 13’000/min. Zurückzuführen ist das Leistungsplus primär auf die neue Auspuffanlage mit den Staudruck reduzierenden, grösseren Auslässen (plus 18 Prozent).

 

Neu sind zudem der Ölkreislauf samt Ölpumpe sowie das Getriebe. Bei Letzterem wurden die erste, die zweite und die sechste Stufe länger übersetzt. Ducati spricht dabei von einer «Racing-oriented»-Abstufung, die von den Superbike-WM-Rennern und damit von der V4R stammt. Sprich, es soll nun einfacher sein, enge Radien im ersten Gang zu nehmen, stärker von der Motorbremse zu profitieren und energischer herauszubeschleunigen.

Ducati Panigale V4S

Der moto.ch-Testfahrer mit MotoGP-Pilot Jorge Martin in Jerez.

Neu sind vier Motor-Powermodi mit angepasster Logik eingeführt worden: «Full», «High», «Medium» und «Low», wobei die Modi Full und Low neu programmiert wurden. Ersterer soll das sportlichste je in einer Panigale implementierte Kennfeld aufrufen. Es liefert – wie High und Medium – die vollen 215,5 PS, beschneidet die Drehmomentkurve des V4 aber auf keine Weise (ausser im ersten Gang) und ist entsprechend auch nicht in einem der Standard-Fahrmodi integriert. Der Modus «Low», der für den Strassenbetrieb programmiert wurde, limitiert die Topleistung auf 150 PS.

 

Noch zum Gewicht: dieses beträgt fahrfertig 195,5 Kilo beim S- und drei Kilo mehr beim Basis-Modell mit konventionellem statt semiaktivem Fahrwerk sowie Guss- anstelle der Schmiederäder, die beim S-Modell übrigens jeweils mit dem pfiffigen roten Farbquader verziert sind.

 

Anti-Squat-Auslegung

Direkt vom Rennsport abgeleitet ist die bei der S verbaute, semiaktive und die Kavitation der Bremsflüssigkeit reduzierende Gasdruckgabel des Typs NPX 25/30 von Öhlins. Sie verfügt über 5 mm mehr Federweg bei einer leicht reduzierten Federrate. Das soll weichere Abstimmungen bei sanfteren Ansprache der Baugruppe ermöglichen, beim harten Ankern dennoch ein gutes Feeling und am Kurvenausgang eine bessere Führung liefern. Auch das TTX36-Federbein und der Lenkungsdämpfer – ebenfalls von Öhlins – arbeiten Situations-basiert und greifen auf die Werte der Sechsachsen-IMU zurück. Das Basis-Modell federt bzw. dämpft vorn via Showas Big-Piston-Gabel und hinten mittels Sachs-Federbein. Auch diese Komponenten sind voll einstellbar.

 

 

Interessant: Der Schwingendrehpunkt liegt neu 4 mm höher. Ducati verspricht sich dadurch eine Reduktion des Squat-Effekts. Sprich, die neue Panigale V4 soll beim harten Beschleunigen hinten weniger stark einfedern und so stabiler aus den Kurven pfeffern.

 

Ducati Panigale V4S

 

Nach wie vor sind die übergeordneten Riding-Modes «Race A», «Race B», «Sport» und «Street» aktivierbar. In ihnen sind wie gehabt jeweils vorprogrammierte Settings aller Baugruppen bzw. Assistenzsysteme hinterlegt. Die Echtzeit-Informationen bezüglich Bike-Verhalten im dreidimensionalen Raum werden von besagter Sechsachsen-IMU bereitgestellt.

 

«Überlass das ruhig mir…»

Jetzt aber genug der Theorie und der Technik. Wir wollen wissen, was die neue Panigale V4S drauf hat. Fünf Sessions à 15 Minuten auf dem Circuito de Jerez werden serviert, inklusive frisch aufgebackener SC1-Slicks von Pirelli. Na dann los!

 

Erster Turn. Es ist noch ziemlich kalt, und weil ich in der zweiten Gruppe fahre, übernehme ich nach 10 Minuten Pause eine Panigale V4S mit schon ziemlich abgekühlten Slicks. Also mal easy auf den ersten Runden. Zwei Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal hier war, umso mehr staune ich, dass eigentlich alles sehr locker von der Hand geht – diese Ducati mir unheimlich viel Arbeit abnimmt.

 

Ducati Panigale V4S

 

Die Slicks sind auf Temperatur, ich beginne – zunächst im Modus «Race B» (volle Power, sanfte Ansprache) die «Pace» zu steigern. Wobei mir zwei Dinge sofort auffallen: Erstens kann ich hier in Jerez vier Kurven neu im ersten Gang nehmen, wobei ich am Kurvenausgang richtig Asche geben kann. Die Panigale geht rabiat zu Werk, bleibt dabei aber extrem gut kontrollierbar. Und dies im ersten Gang mit 215,5 PS! Keine Frage: Dieser Motor ist und bleibt in jeder Hinsicht bombastisch. Und die neue Getriebeabstufung ist definitiv ein Gewinn!

 

Zweitens erlaubt es mir diese Panigale Radien zu fahren, die zuvor – zumindest im Vergleich zum ersten V4S-Modell – schlicht undenkbar waren. Ich kann die Linie quasi nach Belieben eng wählen und erfreue mich dabei ob der vorbildlichen Stabilität. Und am Kurvenausgang werde ich in keinster Weise rausgetragen. Es scheint also, als würden sich die Bemühungen von Ducati hinsichtlich Reduktion der Anti-Squat-Tendenz auszahlen.

 

Ducati Panigale V4S

 

In der Summe befreien die genannten Charaktereigenschaften nicht nur den menschlichen Arbeitsspeicher nachhaltig, sie sparen auch jede Menge Körperenergie ein. Und die Panigale V4S des Schnittmusters 2022 gibt sich bei Fahrfehlern und/oder Korrekturen nochmals eine Portion gutmütiger.

 

Die elektronischen Schutzengel

Auch in Turn zwei ist es noch frostig. Also wieder «Race B». Ich pfeile im ersten Gang aus der zweiten, engen Rechts und aktiviere beim Umlegen unter starker Last die zweite Zündstufe. Der Zugkraftunterbruch ist aufgrund der neuen Getriebeabstufung tatsächlich minim, weshalb in dieser kritischen Phase auch keine Unruhe auftritt. Und generell erstaunt die unglaubliche Performance des Quickshifters.

 

Gegen Ende meines dritten Turns sind die Reifen an den Flanken durch (die Pirelli haben inzwischen sechs Sessions auf dem Buckel). Normalerweise würde ich jetzt Zunder rausnehmen, aber ich ertappe mich, wie ich meine bis dato schnellsten Runden drehe. Der Grund: Auch die Elektronik hat realisiert, dass der Gummi gerade das Zeitliche segnet. Schaltmanöver fallen nun sanfter aus, und die Traktionskontrolle holt für mich noch das Letzte aus dem Compound heraus.

 

 

Der Pirelli vorn ist noch super beisammen, weshalb ich mich jetzt auf die Bremszone konzentriere. Und sieh an: Selbst jetzt bremse ich oft noch zu früh. Für mich ein Zeichen dafür, dass die Brems-Performance als Ganzes tatsächlich besser ausfällt. Und so suche ich mir neue Bremspunkte, werfe immer später den Anker aus und stelle fest, dass ich in Vergangenheit in Jerez bei der Schubumkehr einfach mehr Meter brauchte.

 

Nochmals nachgewürzt

Erste Nachmittags-Session – Modus «Race A»! Die Panigale wirkt jetzt etwas knackiger. Sie hängt eine Spur spontaner am Gas, gibt sich motorseitig aber nach wie vor vorbildlich Gentleman-like. Gleiches gilt für das Fahrwerk, das jetzt – gerade in den langsamen Erstgang-Kurven – noch eine Nuance agiler wirkt. Generell sind die Unterschiede aber marginal. Dass ich mich kaum veranlasst sehe, weder im einen noch im anderen Modus gross etwas umzustellen zeigt, dass die Elektronik-Chefköche von Ducati absolut gekonnt nachgewürzt haben. Einzig die Druckstufe hinten hätte ich am semiaktiven Fahrwerk einen Tick zugedreht, wenn noch ein sechster Turn angesetzt gewesen wäre.

 

Ducati Panigale V4S

 

Abschliessend noch einige Bemerkungen zum neuen «Track Evo»-Layout im TFT-Display: Speziell die neu von dedizierten LEDs hinterleuchteten und ganz oben positionierten «Blitze» für Begrenzer und «idealer Schaltzeitpunkt» sind aus dem peripheren Sichtfeld deutlich besser zu erkennen. Bei den Interventionsfeldern der Assistenzsysteme muss man dagegen schon bewusst hinschauen.

 

Ducati Panigale V4S

Die Schweizer Delegation mit den MotoGP-Piloten Jorge Martin und Johann Zarco.

 

Fazit

Nach fünf Jerez-Sessions ist klar: Die Panigale V4S ist nochmals eine gehörige Portion zugänglicher geworden. Selbst Pistenneulinge werden ungeachtet der gigantischen 215,5 PS in puncto Fahrspass voll auf ihre Kosten kommen. Während Routiniers nun noch entspannter und effizienter an ihren (schnelleren) Rundenzeiten feilen können. Buon Appetito!

 

Info: www.ducati.com

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