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Harley Street Glide Special

Harley-Davidson hat einen neuen Big-Twin lanciert: den Milwaukee-Eight. Stärker, laufruhiger und sparsamer soll er sein. Wir bitten zum Duell.

In der letzten Ausgabe, in der wir Harley-Davidsons nagelneuen Motor mit 107 Cubic-Inch Hubraum (1745 ccm) ausführlich vorgestellt hatten, haben wir es versprochen: Sobald der erste 2017er Harley-Davidson-Tourer mit dem neuen Achtventil-Triebwerk (daher der Name Milwaukee-Eight) in der Schweiz eintrifft, lassen wir ihn gegen ein 2016er-­Modell (103 ci / 1690 ccm) antreten. Und schon lösen wir unser Versprechen ein. Voilà!

Hält der neue, was Harley verspricht?

Am Ende unseres Tests wollen wir es noch genau wissen, lassen die beiden Street Glide Special direkt gegeneinander durchstarten – eine knallharte Durchzugsprobe. Vermag die neue der alten wirklich davonzuziehen? An der Kurbelwelle stehen laut Harley-Davidson neu immerhin 90 PS bei 5450/min und 150 Nm bei 3250/min den bisherigen 87 PS bei 5010/min und 138 Nm bei 3500/min gegenüber…Wichtig ist noch anzumerken: Die neue Street Glide Special wiegt fahrfertig 376, die alte 372 Kilo. Und die beiden Testfahrer trennt auf der Personenwaage ähnlich viel Gewicht, so dass die Differenz am Ende fast bei Null liegt und einem fairen Duell nichts entgegensteht.

Vierter Gang… Vollgas!

Beide­ Tourer sind nebeneinander fahrend in Position: Vierter Gang (die Getriebeabstufungen sind identisch), 60 km/h und auf ein Zeichen lassen wir die Drosselklappen auf Durchzug schnellen. Tatsächlich nimmt die Weisse in diesem Moment einen regelrechten Satz, während die Schwarze noch zu verarbeiten scheint, was gerade passiert. Doch zu beider Überraschung kann der Milwaukee-Eight seinen ruck-zuck erreichten Vorsprung von einer bis anderthalb Motorradlängen danach nur noch halten, aber nicht mehr weiter ausbauen – zumindest bis zum von uns gesetzten Beschleunigungslimit von 140 km/h (Tacho).

 

Wir wiederholen das Prozedere mehrmals, meist im vierten, auch mal im dritten Gang. Immer mit demselben Resultat. Natürlich sind wir uns der programmierten Abweichungen, verursacht durch zwei individuell agierende Gashände, bewusst. Dennoch trauen wir uns folgendes Fazit zu: Der luft-/ölgekühlte Milwaukee-Eight 107 hat – wenn es hart auf hart kommt – unten raus minim mehr Punch, aber Fahrer von ebenso luft-/ölgekühlten Twin-Cam-103-Bikes müssen sich deswegen nun nicht gleich wärmer anziehen.

Bestätigung auf dem Dynojet-Prüfstand

Wie bei anderen Vergleichstests lassen wir unsere Eindrücke noch durch einen geeichten Dynojet-Rollenprüfstand verifizieren. Und siehe da: Sowohl die Leistungs- als auch die Drehmomentkurve des neuen Milwaukee-Eight 107 liegen bis etwa 3750/min über jenen des Twin Cam 103. Dann folgt ein kurzer Bereich, in dem die Leistungskurven beider Motoren sich fast decken, bis bei etwa ab 4300 Umdrehungen der Twin Cam 103 den Milwaukee-Eight sogar noch überholt! Die um 1,4 PS grössere Leistungsspitze ist laut dem Prüfstandsexperten aber fast vernachlässigbar. Zudem hat die neue Street Glide noch fast keine Kilometer auf dem Zähler, ist also noch nicht wirklich eingefahren.

Ein wirklich neues Fahrgefühl

Und wie sieht es im „Normalbetrieb“ aus? Beim Anlassen fällt auf, dass die Neue viel höher raufdreht und das Auspuffgeräusch ausgeprägter ausfällt. Danach ist der Motorlauf ultrakonstant und durch die nun zum Einsatz kommende Ausgleichswelle im Vergleich extrem vibrationsarm. Am 16er-Modell sind im Stand – aber auch in jeder Fahrsituation – deutlich mehr von den bislang für Harley so typischen „good Vibrations“ sicht- und spürbar.Auch ungeachtet der reinen Vibrationen fühlt sich der neue Achtventiler sowohl beim gemütlichen Cruisen als auch beim etwas flotteren Angasen auf kurvigen Passstrassen runder und weicher an. Vielleicht auch ein klein wenig spritziger. Doch hinsichtlich Vortrieb fallen die registrierbaren Unterschiede unter diesen Konditionen noch kleiner aus als im reinen Durchzugsduell oder auf dem Prüfstand.

Sound: Fülliger, dumpfer…

Bei der Soundkulisse fällt weiter auf, dass sich die Alte durchs Band kerniger und rauer anhört. Vor allem auch das Ansauggeräusch beim Beschleunigen ist bei ihr viel ausgeprägter, während die 2017er Street Glide den insgesamt fülligeren, dumpferen Auspuffsound bietet. Beide Varianten haben ihren Reiz.Eindeutig gewonnen hat die 2017er Tourer-Generation beim Fahrwerk – dank neuer Tele-Gabel (Showa) und neuen Federbeinen (die sich nun per Handrad an die Beladung anpassen lassen). Zwar hat sich die Schräglagenfreiheit minim verringert. Allerdings fällt das kaum auf und – viel wichtiger – die wuchtigen Bikes lassen sich nun sogar noch präziser und stabiler durch den Kurvenswing dirigieren.

Fazit

Die neuen Harley-Tourer punkten besonders mit dem noch präziseren Fahrwerk. Der neue Milwaukee-Eight-Motor ist an und für sich gelungen und schön zu fahren. Seine Überlegenheit fällt aber marginal aus. Zudem überrascht, dass die Maximalleistung am Hinterrad geringer ist als beim Twin Cam. Und anstatt Minderverbrauch erfuhren wir einen identischen Durst von 5,85 l auf 100 km. Es sei jedoch nochmals betont, dass der Milwaukee-Eight-Motor zum Testzeitpunkt – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – noch nicht eingefahren war.

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