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Kanada

Bären, imposante Gletscherlandschaften und einsame Strassen.
Cowboy-Romantik, Wild-West-Feeling, auf Kurvenstrecken auf den Spuren der Pioniere tappen. Die Rocky Mountains sind ein Traum für Tourenfahrer. Mobilität war hier schon immer gefragt. Die Stellenanzeige, in der Bauarbeiter für die Bahntrasse der Canadian Pacific Railroad gesucht werden, zeigt es: «Bewerbe dich am Ende der Schienenstrecke, das sich derzeit in den Cypress Hills, rund 600 Kilometer westlich von Winnipeg befindet». Also 1000 Kilometer immer den Schienen entlang, für einen Tageslohn von einem Dollar fünfzig. Dafür bekommt man heute nicht mal mehr zwei Liter Sprit. Doch das Plakat ist schon ein bisschen älter, es stammt aus dem Jahr 1883 und hängt eingerahmt an der Wand des Eisenbahnmuseums in Revelstoke.Dort treffen wir Gary Starling und Les Hendley, zwei Lokomotivführer im Ruhestand. Der 85-jährige Les erklärt stolz die Dampflok, die er in früheren Tagen gefahren hat und heute im Museum steht. Mehr als 30 Jahre sass auch Gary für die CPR auf dem Bock und weiss um die Pionierleistung der Eisenbahnbauer: «Das war eine grosse Sache, als ein paar Kilometer von hier 1885 der letzte Nagel in die Schwelle reingehauen wurde». Damit war die Verbindung von Ost- und Westkanada geschaffen, ein politisches Symbol für die Einheit des Landes und eine verkehrstechnische Pionierleistung. Schliesslich laufen heute viele Hauptverbindungsstrassen Kanadas mehr oder weniger parallel zu den Bahntrassen. Auf diesen ehemaligen Handelsrouten lassen sich die Rocky Mountains heutzutage wunderbar beschwingt auf brabbelnden Harleys erfahren. Zum Beispiel der Highway Nummer 1, der sogenannte Trans-Canada-Highway, der uns von unserem Startpunkt in Kamloops nach Revelstoke führen soll. Was er aber nicht tut, weil wir von einem Einheimischen einen Tipp bekommen.Go with the flow Glen ist der Boss der pittoresken Historic O’Keefe Ranch, die am Tag unseres Besuchs mit einer riesigen Torte und natürlich frischen Hamburgern ihren 147. Geburtstag feiert, worauf Glen echt stolz ist: «Unsere Familie hat hier Pionierarbeit geleistet. Wir sind älter als der Staat Kanada». Er natürlich nicht, er ist ein Mann im besten Alter und auch sehr kommunikativ. Lässig den Cowboyhut ein bisschen in den Nacken geschoben und das Pferd locker am Zügel berichtet er, dass er selbst auch einen Töff fahre und auch schon in Europa gewesen sei. Daher weiss er: «Der Highway Nummer 1 ist wie die Autobahn, da fahrt ihr nur geradeaus und nur zwischen Trucks». Der Highway Nummer 6 sei die bessere Alternative. «Da ist wenig Verkehr und ihr findet schöne kurvige Strecken». Der Cowboy muss es wissen, reitet er doch in seiner Freizeit neben dem Braunen auch noch eine E-Glide.Und er hat Recht, der Umweg lohnt sich. Allerdings versteht der Kanadier unter engen Kurven etwas anderes als der Europäer, erst recht, wenn er in einem Alpenland zuhause ist, doch um mit unseren Harleys relaxed durch die Monashee-Mountains zu wedeln, sind die Kurvenradien genau richtig. Und als wir den knapp 1200 Meter hohen Monashee-Pass überqueren, stellt sich sogar etwas Alpen-Feeling ein. Nur Fähren gibts in den Alpen kaum. Hier schon. Gleich zweimal müssen wir aufs Schiff, um den Arrow Lake zu überqueren. Mit wunderbaren Aussichten, denn zwischen dem Kootenay Lake und dem Arrow Lake ragen die Selkirk Mountains steil auf. Der Arrow Lake ist übrigens kein natürlicher See, sondern der Columbia River, der zwecks Stromgewinnung und Hochwasserregulierung aufgestaut wurde. Die Fähren sind erfreulicherweise kostenlos – weil integraler Teil des Strassennetzes – und regulieren den Verkehr. Maximal 15 Fahrzeuge passen auf eine solche und rollen anschliessend wieder auf die Strasse, lokaler Verkehr existiert praktisch nicht. So ergeben sich zwei Möglichkeiten, um die Strasse komplett für sich zu haben. Entweder man zieht gleich nach Verlassen des Schiffs stark am Kabel, dann ist nach vorne alles offen. In der entspannenderen Variante dürfen die Mitfahrer der Fähre losziehen, dann hat man den Rücken frei.Schnee im SommerLaut Kalender sollte Sommer sein. Doch davon merken wir auf dem Rogers Pass mitten im Glacier National Park recht wenig. Temperaturen im einstelligen Bereich und auf der Passhöhe 1327 Meter über Normalnull schneit es sogar ein wenig. Traurige Berühmtheit erlangte der Pass durch ein Lawinenunglück am 4. März 1910, bei dem 62 Eisenbahner ums Leben kamen, nur einer überlebte. Es ist der bis heute schwerste Lawinenunfall in Kanada.Jetzt einen heissen Kaffee. Den gibt es aber erst gut 50 Kilometer weiter bei Tim Horton’s in Golden, wo es auch wieder etwas wärmer wird. Von hier aus sind es nur ein paar Kilometer zu der Skistation Kicking Horse, im Winter ein fantastisches Revier für Tiefschneefreaks. Doch wie gesagt, es ist Sommer und wir wollen noch bei Tageslicht unser Etappenziel nahe Lake Louise erreichen. Das gelingt uns gerade so. Im Dämmerlicht biegen wir auf die Strasse ein, die uns ins Baker Creek Mountain Resort führt. Das liegt «right in the middle of now­here», wie man hier sagt. Und wie zur Bestätigung trottet kurz vor der Hofeinfahrt noch ein Schwarzbär herum. Nur fünf, sechs Meter entfernt schnüffelt er durchs Gras. Doch bis wir angehalten und die Kamera gezückt haben, hat der sich längst in die Büsche geschlagen. Wir auf unseren Harleys auch.Zehn Dreitausender im VisierDa haben wir anderntags mehr Glück, was daran liegt, dass die Dickhorn-Schafe im Jasper National Park Besuch gewohnt sind und fast jede natürliche Scheu verloren haben. Wie an der Perlenschnur aufgereiht stehen die Limousinen, Pick-ups und Wohnmobile am Stras­senrand, die Besatzungen sind alle ausgestiegen, um mit Handys und Kompakt­kameras die Szenerie festzuhalten. Auch das Bollern der beiden Harleys beeindruckt das halbe Dutzend Hornträger wenig.Deutlich beeindruckender als die Tierwelt ist aber die spektakuläre Landschaft entlang des Icefields Parkway. Zehn Dreitausender, über hundert Gletscher und zahlreiche Seen, in deren türkisblauem Wasser sich die Gipfel spiegeln, säumen die Strasse zwischen Lake Louise und Jasper. Fahrerisch ist diese Strecke keine Herausforderung, aber weil es immer nahezu geradeaus geht, können wir auch während der Fahrt immer wieder den Blick über die Bergwelt schweifen lassen – ohne Angst haben zu müssen, dass uns irgendwo die Strasse ausgeht.Der Glacier SkywalkSo viel Schönheit gehört keinem allein. Davon zeugen die vollen, auf mehrere Terrassen verteilten Parkplätze des Icefields Glacier Discovery Centre. Das Besucherzentrum bündelt den Besucherstrom, um ihn anschliessend in Bussen auf die beiden Hauptattraktionen zu verteilen. Zunächst geht es auf den Glacier Skywalk. Am Eingang gibt es einen MP3-Spieler, der den Besucher individuell über das Bauwerk aus Stahl und Glas führt – und dabei allerhand Wissenswertes, aber auch viel Banales über Genese der Landschaft, Entwicklung von Gletschern und Anpassung der Tiere an diese lebensfeindliche Umwelt erzählt. Der Höhepunkt, durchaus im Wortsinn, ist der Spaziergang über die gläserne Plattform, die sich ellipsenförmig über das Sunwapta-Tal schwingt. Am Scheitelpunkt der Ellipse schaut man rund 280 Meter in die Tiefe – und kilometerweit in die Ferne auf die Gletscherwelt. Die erobern wir jetzt gleich.Ein paar Liter Diesel tun es auchGanz nordamerikanisch müssen wir für diese Gletschertour keine Schweisstropfen vergies­sen. Ein paar Liter Diesel tun es auch, die durch die Einspritzanlage des Snowcoaches fliessen. Das ist ein dreiachsiger Omnibus, der sich, mit ordentlicher Bodenfreiheit und fetten, mannshohen Baumaschinenreifen ausgestattet, den Athabasca-Gletscher hocharbeitet. Zwar nicht bis zum Gipfel, aber immerhin. Vor der gehissten Kanada-Flagge machen wir Erinnerungsfotos mit zwei kanadischen und einem amerikanischen Harley-Treiber, die wir hier kennengelernt haben. Mein Kollege Dani probiert auch noch das buchstäblich eiskalte Gletscherwasser und kommt zu der Erkenntnis, dass dieses besser schmeckt als das Wasser, das in Kanada im Allgemeinen gechlort aus dem Wasserhahn kommt. Was für eine bahnbrechende Erkenntnis …Noch besser mundet uns aber das Bier der Jasper Brewing Company, das, und das muss man hierzulande betonen, aus ungechlortem Wasser gebraut wird. Sechs verschiedene Sorten brauen sie hier, darunter den hopfigen Klassiker Jasper the Bear Ale oder das süsse Blueberry Vanilla Ale, das Bier-Puristen in Deutschland wohl eher ins Grübeln bringt. Für die hat der Pub der Jasper Brewing Company zur Not aber auch noch Erdinger Weissbier auf der Karte. Das muss aber nicht sein. Heute nicht und auch nicht an den folgenden Abenden. Da geniessen wir die Vielfalt hiesiger Braukunst und lauschen Al Perrett, den man getrost als kanadische Motorradlegende bezeichnen darf. 1953 sass er zum ersten Mal auf einem Motorrad, einer BSA, wie er sich erinnert. Da war er gerade mal 15 Jahre alt. Später fuhr er Motocross, doch seine grosse Liebe sind nach wie vor Rallyes, sein Lieblingsrennen ist die Baja 1000 in Mexiko. 15 Mal ist er sie schon gefahren, bei der letzten Rallye war er schon über 70. Das Alter nimmt man ihm nur schwer ab, sitzt uns doch ein schlanker, athletischer Man gegenüber: «In einer Woche feiere ich meinen 76. Geburtstag, da beschenke ich mich selbst». Der Husqvarna-Fan hat sich noch mal einen neuen Husky-Crosser rausgelassen. Den gönnt er sich, obwohl er geschäftlich Harley-Davidson verbunden ist.Barkerville und der GoldrauschAl ist Inhaber von Kamloops Harley-Davidson und Besitzer unserer Miet-Bikes. Wir haben ihn nicht zufällig getroffen. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass wir heute hier sitzen, denn der alte Haudegen will Europäer von der Schönheit seiner Heimat überzeugen und hat sich dazu mit Touristikern der Region zusammengetan. Als letztes touristisches Highlight hat das Team die historische Stadt Barkerville auf den Plan gesetzt. Die ersten Siedler kamen im Jahr 1858 hier an. Es gab nur einen Grund, in diese gottverlassene Gegend zu ziehen. Gold. Gut 25’000 Glücksritter landeten über die Jahre im Hafen von Fort Victoria auf Vancouver Island und machten sich auf zu den Goldfeldern in den Cariboo-Bergen. Der Seemann Billy Barker schaffte es erst 1862 hierher – alle erfolgversprechenden Claims waren längst abgesteckt. Doch der eigensinnige gebürtige Brite grub und grub – und wurde fündig. Nuggets und Goldstaub im Wert von über einer halben Million Dollar holte er aus der Erde. Zu einer Zeit, wir erinnern uns, als Bauarbeiter rund einsfünfzig die Woche verdienten. Innerhalb von Wochen schossen rund um Barkers Claim Gebäude wie Pilze aus dem Boden: Schmieden, Pferdeställe, Hotels, Saloons und abermals Saloons.Schmuck sieht es aus, das Städtchen, dessen staubige Hauptstrasse wir gerade entlangschlendern. Weit kommen wir nicht, denn ein älterer Herr mit Gehstock stellt sich uns vor: «Billy Barker, mein Name». Der hat sich aber gut gehalten. Gentlemanlike lüftet er seinen Hut, auch als gerade zwei elegant gekleidete Damen das Hotel verlassen, um die Postkutsche zu besteigen. Die Freundlichkeit ist echt, ansonsten alles Schimäre. Tatsächlich verkam Barkerville schon Ende des 19. Jahrhunderts, als kein Gold mehr zu finden war, zu einer Geisterstadt und erst 1958 entschloss sich die Provinzregierung, die Goldgräberstadt zu restaurieren und in Teilen neu aufzubauen. Heute gilt Barkerville als historisches Monument, das an die Gründerzeit der Nation erinnert, die Schauspieler wie Billy lebendig erscheinen lassen. Man könnte hier bequem einen ganzen Tag verbringen, wollte man alle Shows und Informationsangebote nutzen. Aber wir müssen weiter. Übermorgen geht unser Flug und es warten noch gut 600 Kilometer feinste Landstrasse darauf, unter die Räder genommen zu werden.

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Anreise: Langstreckenflug nach Vancouver und dann weiter mit einem Air Canada Inlandsflug nach Kamloops, Start und Ziel unserer Tour. Die flexiblere Alternative – und für mehr als eine Person auch die kostengünstigere – ist die Fahrt im Mietwagen von Vancouver nach Kamloops. Gute Erfahrungen haben wir mit Enterprise Rent-A-Car gemacht. Gute Beratung und vernünftige Raten für Flug und Mietwagen sind aber auch über den Kanada/USA-Spezialisten Canusa (www.canusa.de) zu erhalten.Reisezeit: Das Binnenland West-Kanadas mit den Rocky Mountains liegt im Bereich eines stabilen Kontinentalklimas. Hier sind sonnige, trockene Sommer sowie kalte Winter die Regel. Zwischen Ende Mai und Anfang Oktober reihen sich Frühling, Sommer und Herbst dicht hintereinander. Diese vier Monate gelten für Motorradfahrer als ideale Reisezeit. Trotzdem ist zu beachten, dass es in den Abend- und Nachtstunden oft empfindlich kühl werden kann, im Frühjahr sowie im Herbst speziell in höheren Regionen das Erreichen der Null-Grad-Grenze nichts Ungewöhnliches ist.Tipps fürs Fahren: Ein nationaler Führerschein reicht aus, auch zum Anmieten von Fahrzeugen. Dazu muss man mindestens 21 Jahre alt sein. Es besteht Helmpflicht. Schotterstrecken und Naturstrassen gibt es auch in den Rockies, sind aber die Ausnahme. Wichtig: Schulbusse, die mit Warnblinker am Stras­senrand stehen, dürfen nicht überholt werden. Speedlimits, speziell vor Ortschaften, werden mobil überwacht. In British Columbia gilt die Null-Promille-Grenze.Töffvermietung: Kamloops Harley-Davidson/Eagle Rider; 1465 Iron Mask Road, Kamloops, BC; V1S 1C7; www.kamloopshd.com oder www.eaglerider.com/kamloopsLandestypisches: Die geltenden Masse und Gewichte sind metrisch: Das Benzin gibt es literweise, Entfernungen sind in Kilometern angegeben. Als problemloses Zahlungsmittel taugt, wie überall in Nordamerika, die Kreditkarte.Unterkunft: Entlang der beschriebenen Strecke finden sich jede Menge Hotels und Motels mit moderaten Tarifen (40 bis 70 Euro pro Nacht), in denen Motorradfahrer willkommen sind. Ein Highlight auf unserer Tour war fraglos das Baker Creek Mountain Resort bei Lake Louise, eine Ansammlung kleiner Blockhäuser mit einem oder zwei Schlafzimmern. Allerdings hat dieses Setting seinen Preis – ab 150 Euro die Nacht. Das Essen im rustikalen Baker Creek Bistro zählte zu den kulinarischen Höhepunkten.Adressen: www.tourismkamloops.comwww.landwithoutlimits.comwww.hellobc.comOrganisierte Reise: Das Motorrad action team plant, die beschriebene Tour als buchbare Reise in sein Programm aufzunehmen. Nähere Informationen bei Tourguide Daniel Lengwenus unter Telefon +49 711 182 19 77 oder unter www.actionteam.deGefahrene Strecke: ca. 2000 Kilometer.
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