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Moto Guzzi Stelvio im Test

Moto Guzzi Stelvio Test

Nach acht Jahren Abstinenz meldet sich die Stelvio wieder zurück. Als komplette Neukonstruktion stellt sie eine interessante Alternative im Reiseenduro-Segment dar. Erster Test der modernen Moto Guzzi Stelvio.

Auch in Mandello del Lario (I) bleibt die Zeit nicht stehen, und so brachte Moto Guzzi vor gut einem Jahr den ersten wassergekühlten V2 in Serie auf den Markt. Doch trotz moderner Technik blieb die Traditionsmarke dem unverwechselbaren Layout mit längs eingebautem Motor treu. Die neue Moto Guzzi Stelvio im heutigen Test ist (nach der Mandello) nun das zweite Modell, das vom kompakten, 1042 ccm Hubraum fassenden Triebwerk befeuert wird.

 

Um die Stelvio als Reiseenduro der oberen Mittelklasse ernsthaft in Position zu bringen, wählten die Konstrukteure nicht den bequemen Weg, indem sie der Mandello, etwas salopp ausgedrückt, einfach längere Federwege und grössere Räder spendierten. Nein, dies sollte nichts Halbbatziges werden, und so wurden der Rahmen neu gezeichnet, die Einarmschwinge samt Kardan deutlich verstärkt und das ganze Motorrad auf den erweiterten Einsatzbereich ­getrimmt. Denn die Entwicklungsabteilung befindet sich bei der Konzernschwester Aprilia, und die Mannen aus Noale (I) sind nicht gerade bekannt für ihre Kompromissbereitschaft in Sachen Fahrdynamik.

 

Moto Guzzi Stelvio Test

Individuell unterwegs

Wenn man das Segment der Reiseenduros mit 19-Zoll-Vorderrad und plus/minus einem Liter Hubraum betrachtet, sticht die Stelvio klar heraus. Moto Guzzi stand vor der Herausforderung, ihre traditionellen Werte in ein konkurrenzfähiges, modernes Multitool zu integrieren. Der Motor mit seinen stolz zur Schau gestellten Zylindern verfügt, wie schon erwähnt, über ein Alleinstellungsmerkmal, und der Kardanantrieb ist in dieser Klasse einzigartig.

 

Aufseiten der Bits und Bytes wurde dann das volle Elektronikprogramm aufgefahren. Das heisst: Kurven-ABS, schräglagenabhängige Traktionskon­trolle, fünf Fahrmodi, serienmässiger Tempomat, volle ­LED-Beleuchtung samt Kurvenlicht und ein farbiges 5″-TFT-Display sind an Bord. Für 1000 Franken Aufpreis gibt es dann noch das «PFF Rider Assistance Solution»-Paket mit radargestütztem Sicherheitssystem mit Totwinkelassistent und Kolli­sions­warner. Der Quickshifter sowie die Heizgriffe sind leider auch aufpreispflichtig. Nun aber genug der Theorie, gefahren wird in der Praxis, und heute befindet sich diese im spanischen Andalusien.

 

Moto Guzzi Stelvio Test

Im TFT-Display werden die diversen Einstellungen dargestellt.

Charakterstark

Schick und kompakt steht sie zum Test bereit, die neue Moto Guzzi Stelvio. Kein Vergleich zur etwas eigenwillig geformten, ausladenden Vorgängerin, welche noch von einem luftgekühlten 1200er angetrieben wurde. Die Befürchtung, dass das moderne, wassergekühlte ­Pendant hier an Charakterstärke verloren hätte, ist grösstenteils unbegründet. Zumindest der Hüftschwung bei jedem Gasstoss im Stand ist schon mal da, wenn auch etwas weniger ausgeprägt. Und auch der satte, tiefe (von der Lautstärke her aber sozialverträgliche) Sound gehört zweifelsfrei zu ­einer Guzzi.

 

Motor

Trotz Wasserkühlung bleibt der Motor echt Moto Guzzi.

 

Das mechanische sowie akustische Feedback beim Einlegen des ersten Gangs macht jedem US-Twin mächtig Konkurrenz, doch das ist die einzige Auffälligkeit des Getriebes. Die Übersetzungen der sechs Gangstufen passen perfekt und es steht immer ein passendes Zahnradpaar bereit. Der hier eingebaute Quickshifter samt Blipperfunktion macht seine Arbeit unauffällig, nur in der Stadt beim Stop and Go, also unter wenig Last, könnte der Gangwechsel noch etwas ruckfreier vonstattengehen.

Moto Guzzi Stelvio im Test – sportliche Gene

Doch solche Peanuts interessieren jetzt auf den Bergstrassen im Umfeld der Sierra Nevada nicht mehr. Bei ordentlich angezogenem Tempo kommen die sportlichen Noale-Gene deutlich zur Geltung. Das für eine Reiseenduro eher straff ausgelegte Fahrwerk bietet eine hervorragende Rückmeldung, das Einlenkverhalten auf der ausgezeichnet dosierbaren Bremse ist ein Gedicht und die Schräglagenstabilität über jeden Zweifel erhaben. Das agile Handling in Wechselkurven in Kombination mit der gebotenen Zielgenauigkeit hat das Potenzial, selbst der Knieschleiferfraktion im Kurvenlabyrinth ordentlich ­ein­zuheizen.

 

Moto Guzzi Stelvio Test

Der Sound passt zum dynamischen Charakter.

 

Zumal der 90-Grad-V2 für derartige Spielereien uneingeschränkt zu haben ist. Dieses Universal­tool zieht schön von unten raus, drückt in der Mitte bärig an und dreht freudig bis zum Begrenzer. Die goldenen Eckdaten für einen souveränen Landstrassenmotor (100 PS / 100 Nm) übertrifft der Guzzi-Twin sogar leicht. Mit ordentlich Zug an der Kette … sorry, am Kardan, gibt es auch am Quick­shifter nichts mehr auszusetzen.

 

Dass die Stelvio mit ihren 246 kg kein Leichtgewicht ist, mag beim ersten Blick ins Datenblatt etwas enttäuschen, doch im Fahrbetrieb (zumindest auf ­Asphalt) scheinen die Pfunde regelrecht zu verfliegen. Zudem passt die Reifenwahl in Form des Michelin Anakee Adventure sehr gut ins Gesamtbild.

Moto Guzzi Stelvio im Test – reisetauglich

Wir können schon mal festhalten: Auf befestigten Strassen kann diese Guzzi temperamentvoll rennen und macht richtig Spass. Doch wie sieht es mit der Langstrecken- und Geländetauglichkeit aus? Denn die gehören ja zu den Kernkompetenzen einer Reiseenduro. Der Wohlfühlfaktor stellt sich schon nach kürzester Zeit ein, denn die Ergonomie wirkt sehr natürlich und die peripheren Körperteile sind intuitiv am richtigen Ort platziert. So lässt es sich lange im Sattel aushalten.

 

Auch längere Autobahnetappen sind kein Problem, denn das elektrisch einstellbare Windschild bietet in der obersten Stellung einen guten Windschutz ohne lästige Verwirbelungen. Tempomat rein und entspannt Kilometer abspulen. Zudem passt der drehmomentstarke, souveräne Motor auch auf langen Strecken wie die Faust aufs Auge.

 

Offroad

Schotter und leichtes Gelände liegen absolut im Rahmen des Möglichen.

 

Und was für eine Figur macht die Stelvio, falls dem Strassenbauamt mal der Teer ausgegangen ist? Nach dem relativ kurzen Offroad-Abschnitt bei der Präsentation kann schon mal berichtet werden, dass unbefestigte Strassen definitiv kein Hindernis darstellen. Gut kontrollierbar meistert die Guzzi mittelschwere Schotterpassagen, ohne zu murren. Doch für wirklich hartes Gelände ist sie dann wahrscheinlich doch etwas zu schwer und stösst auch mit dem 19″-Vorderrad sowie Federwegen von lediglich 17 cm an ihre Grenzen. Aber die Stelvio ist ja auch nicht als Hardenduro konzipiert, sondern als Töff für ein breites Einsatzgebiet.

Zugänglich im Alltag

Im Alltag gefällt die unkomplizierte Zugänglichkeit, dazu gehören auch das gut ablesbare Display oder die relativ einfache Bedienung aller Einstellmöglichkeiten über die linke Lenkerarmatur. Zudem muss nie eine Kette gespannt oder ihre klebrige Schmiere vom wunderschönen, schlauchlosen Speichenrad geputzt werden. Der Gepäckträger und die Halterungen für das optional erhältliche Kofferset fügen sich unauffällig ins Gesamtbild ein.

 

Noch ein paar Worte zur bereits angedeuteten PFF-Technik: Der Totwinkelassistent warnt als Blinklicht in den Rückspiegeln beim Spurwechsel zuverlässig vor Ungemach und auch der Frontkollisionswarner macht seine Sache einwandfrei in Form von wahlweise optischer oder akustischer Alarmierung. Ob man dies braucht, muss allerdings jede/r für sich selbst entscheiden. Etwas schade ist, dass bei dem Zusatzpaket nicht automatisch der geschwindigkeitsadaptive Tempomat dabei ist, denn dieser ist auf längeren Autobahnfahrten klar ein Komfortplus.

 

Kommen wir noch zum Preis, welcher durchaus fair erscheint, denn für knapp über 16 grosse Scheine bekommt man ein sehr vielseitiges, charakterstarkes Motorrad, welches auch nicht an jeder Ecke zu sehen sein wird. Nach dem ersten, überzeugenden Fahrtag mit der neuen Stelvio sind wir schon gespannt, wie sie sich in einem späteren Vergleichstest schlagen wird.

 

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