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Volljährig: Ducati Scrambler 1100

Seit 2015 ist die Scrambler von Ducati am Markt. Sie begründete eine (gelbe) Marke in der (roten) Marke und bescherte den Italienern einen fulminanten Verkaufserfolg. Mit der 1100er wird der Lifestyle-Brand jetzt erwachsen.

Er sei jetzt doch schon über 20 Jahre dabei und könne sich nicht an einen gleichermassen grandiosen Start einer Marke erinnern, wie das bei Scrambler Ducati der Fall war, resümiert Andrea Buzzoni, Sales and Marketing Director bei Ducati. Tatsächlich wurden von den zugänglichen Italo-Lifestyle-Vehikeln seit deren Markteinführung im Januar 2015 sagenhafte 46’000 Einheiten abgesetzt. Und weil unsere südlichen Nachbarn Freude an grossen Familien haben, wurde die gelbe Truppe auf inzwischen stattliche elf Modellvarianten erweitert.

Original-Scrambler aus den 1960ern

Nun wurden die Original-Scrambler aus den 1960er-Jahren letztlich in drei Hubraumvarianten angeboten (250, 350 und 450); entsprechend liefern die Bologneser ab diesem Jahr neben der bestehenden 400er-Sixty2 und der 800er konsequenterweise auch in der Neuzeit ein Spitzenmodell nach – die brandneue Scrambler 1100. Drei Versionen stehen seit Mai 2018 zum Verkauf: das Basismodell (in Gelb oder Schwarz ab 14’590 Franken), die unter anderem mit Öhlins-Komponenten anrollende, edel ausgestattete «Sport» (16’690.-) und die von uns getestete und Vintage-angehauchte «Special» (15’990.-).

Die Renaissance des 1100 DS

Getreu dem Baukastenprinzip teilen sich alle drei Modelle dieselbe konstruktive Basis, die mit jener der kleinen Schwestern bis auf den Basislook absolut nichts am Hut hat. Ganz speziell freut uns, dass Ducati den luft-/ölgekühlten 1100er-Zweiventiler mit Doppelzündung – freilich komplett überarbeitet – reanimiert hat. Kenner der Marke wissen: Dieser Antrieb, der zuletzt die Monster 1100 befeuerte, ist einer der besten und im positiven Sinne süffigsten, die das Werk in Borgo Panigale je verlassen haben: supersanfte Ansprache, viel Druck von ganz unten und in der Mitte, bärige, aber nicht überfordernde Power – hier übrigens 86 PS bei 7500/min – hohe Wartungsfreundlichkeit, schöne Kühlrippenoptik.

Kurven-ABS und selbstrückstellende Blinker

Für den Einsatz in der Scrambler wurden allerdings lediglich die Kolben, die Pleuel und der Desmo-Ventilantrieb übernommen; alles andere ist über­arbeitet oder komplett neu. So wurde beispielsweise die Ventilüberschneidung zwecks fülligerer Dreh­momentkurve und besserer Fahrbarkeit im unteren und mittleren Drehzahlbereich von 39 auf 16 Grad reduziert. Und das Gemisch wird hier nicht von zwei, sondern einem einzelnen Drosselklappenkörper aufbereitet, was wiederum die Drehmomentkurve „füllt“ und anderseits Platz einspart. Stichwort Platz: Generell waren Designer und Ingenieure bemüht, möglichst alle technischen Komponenten wie etwa die IMU, welche die Implementierung eines Kurven-ABS und selbstrückstellender Blinker ermöglichte, zu kaschieren. Und das ist ihnen gut gelungen, wie wir meinen.

Leistungsmodi

Zurück zum 1079-ccm-V2, der bei 4750/min sein maximales Drehmoment von 88 Nm stemmt: Die Leistungsmodi „Active“ (volle Leistung), „Journey“ (volle Leistung, sanfte Ansprache) und „City“ (75 PS) sind gut getroffen und verfügen über jeweils spezifische Settings für die sehr sanft und effizient arbeitende Traktionskontrolle. Wobei wir fast ausschliesslich „Journey“ vorgewählt hatten – ein Leistungsmodus, der auch für die City prima taugt.

Dumpfes Desmodue-Bollern

Der Sound? Ein Gedicht! Nichts gegen die Klangkulisse des Vierventilers, doch das rundere und dumpfere Desmodue-Bollern hat halt nach wie vor seinen ganz besonderen Reiz. Erst recht, wenn er – wie bei der Scrambler 1100 – von diesem unwiderstehlichen Schiebe­betrieb-Ballern garniert wird. Schon ab 1800/min läuft der Twin geschmeidig-rund; die Power wird schön linear abgegeben, wobei ab 4000/min die Party richtig abzugehen beginnt. Die Scrambler zieht und zieht, manifestiert dabei eine lebhafte Drehfreude und offeriert bis zum Begrenzer bei etwas über 8000/min ein überraschend breites nutzbares Drehzahlband. Ein Prachtsantrieb mit rekordverdächtig-leichtgängiger Kupplung und knackigem Getriebe – in den oberen Gängen sind dezidierte Schalt­impulse von Vorteil -, der zur Scrambler 1100 passt wie die Faust aufs Auge! Und auch die Vibes sind nur von der gesunden und willkommenen Sorte – fantastico!

Von allem ein bisschen mehr

Selbstverständlich wurde nicht nur der Antrieb erwachsener. Das Tankvolumen stieg um 1,5 auf 15 Liter, und mit dem neuen, bildschönen Alugussheckrahmen sowie dem etwas bulligeren Sattel stieg die Sitzhöhe um 20 auf nach wie vor überschaubare 810 mm. Vorn rotiert auch bei der 1100er ein 18-Zoll-Rad, was jenen, die dem jetzt 120 statt 110 mm breiteren Stollen-Pirelli MT60 RS fahrdynamisch nicht viel abgewinnen können, die Auswahl an Alternativen natürlich einschränkt. Gefedert und gedämpft wird vorn über eine massive und voll einstellbare 45-mm-Gabel von Marzocchi, das auch hier direkt angesteuerte, seitliche Federbein ist ebenfalls komplett neu und voll einstellbar. Rundum mehr Performance also.

Luftiges Handling

Da ist es sicher nicht verkehrt, dass Ducati zwecks Erhaltung der Stabilität den Radstand um 69 auf 1514 mm verlängert hat. Wobei letztere bei der fahrfertig 211 Kilo schweren 1100 Special auf jeden Fall gegeben ist. Genauso wie ein luftiges, aber glücklicherweise nicht übermotiviertes Handling. Gut möglich, dass sich routinierte Piloten eine etwas straffere Grundabstimmung, griffigere Reifen und eine in der Ansprache etwas knackigere Vorderradbremse wünschen. Wobei nicht vergessen werden darf, dass Ducati für genau diese Klientel die Monsterfamilie bereitstehen hat. Die 1100er ist klar eine Scrambler und will dies auch bleiben. Ein Bike also, das einen genau definierten Zweck verfolgt: ihrem Piloten süffigen, stressfreien und keinesfalls überfordernden Fahrspass zu bescheren. Und genau das tut sie!

Text: Daniele Carrozza Bilder: Milagro

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