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Ducati Multistrada 950 S im 2000-km-Pässetest

Ducati Multistrada 950 S

Es gibt Menschen, die behaupten, die kleine Multistrada, also die Multistrada 950, sei die bessere Multi, vor allem in der S-Version. Kann das sein? Sicher bin ich mir da auch nach über 2000 Kilometern noch nicht, dafür gibt’s ansonsten viel zu berichten.

Die Multistrada-Familie geniesst bei Ducati seit nunmehr 10 Jahren ihren festen Platz in der Modellpalette. Erst 2017 kam neben der „Grossen“ aber auch die „kleine“ Ducati Multistrada 950 auf den Markt. Dieses Jahr wurde die kleine Multi nun erstmals überarbeit – und das ziemlich Umfassend. Grösste und wichtigste Neuerung an der S-Version: das semiaktive Fahrwerk. Welchen Einfluss dieses und die weiteren Neuerungen auf die Duc hat, und wie sie sich grundsätzlich schlägt, konnte ich auf über 2000 Kilometern im Südtirol und den Dolomiten genauestens unter die Lupe nehmen.

Schon fast brav

Angetrieben wird die Multistrada 950 vom 937 ccm grossen Testastretta 11 Gradi V2. Das ist im Grunde der selbe Motor wie in der Vorgängerin. Er profitierte aber von einigen Anpassungen, die vornehmlich für etwas mehr Drehmoment übers gesamte Drehzahlband sorgten. Das gleiche Aggregat steckt zudem auch in der Hypermotard 950, da aber mit etwas höherer Verdichtung und aggressiveren Steuerzeiten. In der Multistrada leistet dieser V2 schlussendlich 113 PS bei 9000/min und 96 Nm bei 7750/min. Das ist anständig, reisst aber im Vergleich zu den rund 160 PS der grossen Schwester niemanden vom Hocker.

 

 

Und trotzdem, 113 PS und 96 Nm bei 230 kg (fahrfertig) reichen, gerade bei einem Tourenbike eigentlich immer – na gut, fast immer, aber dazu gleich mehr. Denn zuerst muss ich anmerken, wie „brav“ dieser 950er-V2 ist. Da ist nichts ruppig oder unbequem. Auf meinem Weg in Richtung Südtirol stehen Ortsdurchfahrten, Autobahnettappen und Pässe an, alles bei strömendem Regen. Power und Performance interessieren mich im Moment also herzlich wenig. Also schalte ich die Multi in den Modus „Touring“ und gleite gemütlich dahin. Das macht die 950er schonmal ganz hervorragend mit. Praktisch ab Standgasdrehzahl geht sie sauber ans Gas und gibt sich sehr gutmütig.

Geht’s auch schnell?

Einmal am Albula angekommen hat Petrus erbarmen, schliesst seine Pforten und lässt die Sonne den Regen ablösen, nichts wie rein in den Sportmodus. Der ist voreingestellt, kann aber wie alle anderen Ducati-Modi auch, individualisiert werden. Parameter wie Gasannahme, Leistungsentfaltung, Traktionskontrolle, ABS – die beiden letzteren sind dank neuer 6-Achsen-IMU nun schräglagenabhänig gesteuert – und nicht zuletzt auch das Fahrwerk können eingestellt werden. Standardmässig ist die Vorspannung des Fahrwerks im Sportmodus deutlich höher, was für mehr Schräglagenfreiheit sorgt. Ich stelle zudem noch die Dämpfung vorne und hinten auf „harder“. Diese kann von „normal“ auf „softer“ und „soft“ sowie auf „harder“ und „hard“ eingestellt werden. Die restlichen Parameter belasse ich auf den Standardwerten des Sportmodus.

 

Die Multistrada 950 S ist nun deutlich weniger komfortabel als vorher, dafür lässt sie sich umso präziser einlenken und taucht auf der Bremse deutlich weniger stark ein, was ebenfalls der Präzision zugute kommt. Mit diesen Einstellungen fliege ich förmlich über Albula, Ofenpass und schliesslich den Umbrail hoch zum Stilfserjoch. Die Duc gibt sich dabei sehr neutral, vermittelt viel Vertrauen und lässt sich äusserst präzise lenken – eine wahre Freude. Auch der Blipper zum kupplungsfreien hoch- und runterschalten ist bei dieser Gangart sehr willkommen, wird er denn auch oft betätigt. Denn nun bin ich in Sachen Leistung am Punkt „fast immer“. Aus langsamen Kehren, steil den Berg hoch, würde ich nun vor allem zum Überholen gerne auf die 160 Pferde der grossen Schwester zählen. Natürlich reichen auch die 113, die richtige Gangwahl ist damit allerdings essentiell.

 

Praktikabilität

Schnell kann sie also, für mich fühlt sie sich dabei sogar etwas harmonischer an, als die grosse Schwester, wenngleich ich deren Power in wenigen Situationen doch etwas vermisse. Doch wie sieht’s mit der Reisetauglichkeit aus? Die ist bei einem Motorrad dieser Kategorie ja durchaus nicht zu vernachlässigen. Antwort: mal so, mal so. Die Reichweite passt Dank grossem Tank und Durchschnittsverbrauch von unter 5 Litern (in diesem Test) sehr gut. Das Windschild kann mit einer Hand in der Höhe verstellt werden und bietet angenehmen Windschutz, wenn ich auch am „Helmdach“ einige Verwirbelungen vernehme. Auch der Komfort passt – immer abhängig vom gewählten Fahrwerkssetup – hervorragend. Wieso als nur „mal so, mal so“?

 

Koffer. Die sind zwar hübsch, aber auch relativ klein. Vor allem aber sind sie aus konstruktiver Sicht nicht über alle Zweifel erhaben. Ich konnte sie bei meinem Test beispielsweise auch nach langem Rütteln und Gut-Zureden nicht davon überzeugen, sich von ihrer Halterung zu trennen. Das kann natürlich ein Einzelfall sein, aber schon in früheren Tests, mit anderen Multistradas und anderen Koffern, gab’s Schwierigkeiten – da gibt’s noch Verbesserungspotential.

 

Fazit

Die Ducati Multistrada 950 S ist eine hervorragende Reiseenduro. Vor allem das semiaktive Fahrwerk hebt sie in der aktuellen Version nochmal von der Vorgängerin ab. Vor allem, weil es dadurch extrem einfach ist, das ganze Fahrzeug in Windeseile auf verschieden Untergründe und Fahrstile einzustellen. Trotz ihrer Grösse ist die 950er zudem nie Furchteinflössend, dafür umso einfacher zu fahren. Auch wenn’s schnell gehen soll, macht die Multistrada 950 S problemlos mit, auch wenn sie natürlich nicht so brachial antritt, wie die 1260er.

 

Ob sie denn nun wirklich die bessere Multi ist, kann ich so nicht sagen, und würde ich wohl nicht unterschreiben. Sie mag – vor allem fürs Reisen – das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis bieten und einfacher zu fahren sein, kann motorenseitig aber für mich persönlich nicht mit der Emotionalität des 1260er-V2s mithalten. Hier muss aber sicher jeder für sich entscheiden, wie wichtig ihm dieser Punch, den man im legalen Bereich eigentlich nie braucht, ist.

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