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Visionen, die nicht Zero sind

Angesteckt und abgefahren: Quantya Strada. Unterwegs mit der ersten Schweizer Elektro-Enduro.

Wer hat’s erfunden? Fast unbemerkt vom Mainstream der Motorrad-Szene, wird in der Schweiz ein neues Kapitel in der Zweiradgeschichte aufgeschlagen: Quantya S.A. mit Sitz in Lugano hat die Produktion des ersten Serien-Sportmotorrads mit elektrischem Antrieb aufgenommen. Zwar haben auch andere schon E-Scooter oder -Töff anzubieten, aber die Quantya hat nichts mit herkömmlichen Elektrobikes aus Fernost zu tun.

 

Ein kleiner Dreh, der anstecktGetankt wird, wenn es sein muss, im Büro. Netzstecker rein, aufladen und los kann’s gehen. 2,2 Kilowattstunden (kWh) hat das Ladegerät in die Batterie geschaufelt. Für nicht ganz 20 Rappen soll es jetzt nach 150 Minuten Ladezeit für zwei Stunden rund gehen. Eine Drehung am Zündschlüssel, und der E-Töff ist bereit, loszubrettern. «Klack», der Seitenständer schnappt hoch. Ansonsten – eine geradezu skandalöse Stille! Kein Geräusch gibt das 11,5-PS-Kraftpaket im Stand von sich.Dann die Premiere in der Geschichte der TÖFF-Redaktion – ein kleiner Dreh für mich, eine grosse Überraschung für alle. Voilà, die erste Testfahrt einer zukunftsträchtigen Idee: Motorradsport frei von Emissionen und Belästigung der Mitmenschen! Aber ist die Quantya nun eine Enduro, eine Motocross-Maschine oder ein Offroad-Wanderbike? Die Strada ist all das und ein wenig mehr: Über kleine Tables hüpfen, Steilhänge meistern – alles kein Thema – und auch den Weg zur Arbeit hat das Mountainbike mit Motor drauf. Denn die Strada ist Strassen-homologiert.

 

Spassfaktor «E»

Also Gaaas! Unser Ziel, die Zürcher Innenstadt: Vehement statt brav stürmt die Quantya vorwärts. Nur ein leises Surren dringt unter den Helm. Von wegen, ein Elektromotorrad macht keinen Spass. Ein breites Grinsen zaubert das 85-Kilo-Motorrad, das man nicht hört – nicht nur in das Gesicht des Piloten. Der Dreh am «stummen Elektro-Gasgriff» macht süchtig und wirkt sogar ansteckend: Passanten, Motorradfahrer, ja sogar die Euro08-geplagte Zürcher Stadtpolizei kommt aus dem Schwärmen nicht heraus.So viel Sympathie – heutzutage eine fast schon unglaubliche Erfahrung für Töfffahrer. Unglaublich auch, ohne Motorvibrationen und -geräusche, mitten im Fussball-Verkehrschaos am Rotlicht zu stehen um dann mit einem beherzten Dreh am Gasgriff alles hinter sich zu lassen. Kein Zweifel: Die Beschleunigung der Quantya aus dem Stand ist der einer Brot-und-Butter-125 ebenbürtig. Mit steigender Geschwindigkeit schrumpft das Leistungsniveau aber. 70 km/h auf der Landstrasse, mehr geht nicht. Die gefühlte Leistung ist jetzt in etwa auf dem Niveau eines 50er-Viertakters.Aber Vorsicht: E-Motoren sind nur bedingt mit Verbrennungsmaschinen vergleichbar, weil beide völlig differierende Leistungscharakteristika haben. Ungekanntes Drehmoment aus dem Stand ist für den enormen Spassfaktor «E» verantwortlich. In Sachen Energieeffizienz wird das Grinsen noch breiter: Beim herkömmlichen Viertakter verpufft etwa 70 Prozent der Energie als ungenutzte Abwärme – nur der Rest wirkt als Kraft auf die Räder. Ein Elektromotor dagegen setzt 70 bis 80 Prozent der zugeführten Energie in Bewegung um. In Zeiten des Klimaschutzes ein Trumpf (siehe Kasten unten).

 

Einfach schieben …

Zurück in die Stadt: Wenn alles nur noch steht und nichts mehr geht … warum nicht den Töff lässig durch die Fussgängerzone schieben um anschliessend auf Schleichwegen lautlos durch enge Gässchen zu brettern. Keiner schimpft, keiner macht dicke Backen. Sogar die Strickpulli-Fraktion unter den Passanten tut sich schwer, das E-Bike in ihren «Leuenbergerschen Null-Visions-Schubladen» vom Motorrad als Umweltverpester, Raserwaffe, Lärm- und Unfallursacher unterzubringen. Alles bleibt friedlich.Nicht ganz so unauffällig gibt sich die Quantya, wenn aus dem Schiebebetrieb ans Gas gegangen wird. Erst nach einer «Gedenkpause» setzt der Vortrieb ein. Ein Fauxpas. Aber solche Eigenheiten haben wir ja auch schon bei mancher Verbrennungsmaschine moniert. Gewöhnungs-bedürftig auch, dass der Schalt- und der Bremsfuss zu Dauerarbeitslosen werden. Ein Getriebe hat die Quantya nicht. Und auch keine Kupplung. Gestoppt wird die Quantya wie ein Mountainbike mit vertauschten Bremshebeln am Lenker

 

.… oder ins Gelände

Schleichen wir uns lautlos ins lose Terrain. Mal ehrlich: Trauen Sie sich mit ihrer Enduro auf dem nahe dem Haus gelegenen, abgeernteten Feld zu fahren? Mit der Quantya kein Problem. Das Zauberwort lautet wieder «Zero Emissions»: Kein Lärm, kein Abgas – keiner regt sich auf. Und wenn’s doch ein Nachbar tut, erzählen Sie einfach etwas über ihr umweltfreundliches Motorrad. Das besänftigt. Garantiert.AngestecktDas Hinterteil des Quantya-Piloten bleibt aber auch wegen der grossen Federwege schmerzfrei: Straff, aber nicht zu hart für die erbauliche Enduro-Wanderung und gut für kleine Sprünge.Nach zwei Stunden muss die Quantya wieder ans Netz. Ich kann’s kaum erwarten, dass es in zwei Stunden wieder losgeht. Schnell an die Tanke ist halt nicht. Trotzdem hat mich dieser E-Töff in seinen Bann gezogen. Für 13 400 Stutz bekommt man neben einem der umweltfreundlichsten Motorradkonzepte auch eine geballte Ladung Fun für den Stadtverkehr und Feierabend-Enduro-Spass ohne Reue. Nur für den Fall, dass Sie jetzt auch unter Strom stehen: www.quantya.com – da gibt’s alle Infos.

EMPA zum Umweltnutzen von Elektro-Töff

Marcel Gauch, Projektmanager der EMPA (Schweizerische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt), im Interview mit TÖFF:

 

TÖFF: Was können E-Motorräder zur CO2-Reduktion leisten?

 

Gauch: Ein Kilometer Autofahrt verursacht so viel Treibhausgasemissionen wie ein Motorrad auf 1,5 km oder 2 km Scooterfahrt. Mit einem E-Töff ist erst nach 17 km dieselbe Menge CO2 freigesetzt.

 

TÖFF: Rechnet sich der Kauf eines E-Töff als Zweitfahrzeug bei der CO2-Bilanz?Gauch: Ja. Kauft ein Autopendler zusätzlich einen E-Töff als Zweitfahrzeug, ist der Herstellungs-Energieaufwand ab 2000 Kilometer Fahrstrecke mit dem E-Töff kompensiert. Und nach 10 000 km ist bereits der Energiegehalt von etwa 750 l Benzin und insgesamt ca. 2,25 Tonnen CO2 eingespart

 

TÖFF: Verlangt die Politik CO2-Einsparungen bei der Töffflotte?

 

Gauch: Ja. Das CO2-Gesetz verlangt bis 2010 von der Schweiz 10 Prozent Reduktion der Emissionen gegenüber dem Stand von 1990. Der CO2-Überschuss der CH-Motorradflotte beträgt zur Zeit etwa 140 000 Tonnen pro Jahr. Dieser könnte bereits dadurch zur Hälfte kompensiert werden, wenn die 250 000 Roller durch E-Scooter ersetzt und zum Pendeln benutzt würden. Zurzeit fahren insgesamt jedoch leider nur zirka 60 000 Berufstätige mit Motorrädern oder Rollern zur Arbeit.

 

TÖFF: Dafür ist die Anti-Töff-Gesinnung im Verkehrsdepartement mitverantwortlich. Aber wäre die CH-Stromproduktion einem Elektromotorrad-Boom überhaupt gewachsen?Gauch: Die Jahres-Fahrleistung der gesamten CH-Töffflotte beträgt über zwei Milliarden Kilometer. Zum Vergleich: 250 000 Auto-Pendler im Grossraum Zürich legen durchschnittlich 22 km pro Tag und damit etwa 1,1 Mia. km im Jahr zurück. Mit nur 0,25% der CH-Stromproduktion könnte der Energiebedarf der gesamten Zweirad-Flottenfahrleistung erbracht werden, wenn diese gänzlich «elektrifiziert» würde. Würde nur soweit «elektrifiziert», dass die geforderte CO2-Reduktion, also 140 000 Tonnen CO2 weniger, erreicht würde, bräuchte es lediglich 0,14 Prozent der CH-Stromproduktion.

 

TÖFF: Wäre es möglich, alle Töff mit Solarstrom zu speisen?

 

Gauch: Ja. Ein Beispiel: Würde der gesamte motorisierte Individualverkehr der Region Zürich mit E-Scootern erbracht, müssten dafür 78 GWh (Gigawattstunden), also 0,13 Prozent der CH-Stromproduk-tion, aufgewendet werden. Eine neue Studie des EWZ zeigt, dass die für Photovoltaik geeignete Dachfläche in der Stadt Zürich etwa 1,5 km2 beträgt. Damit liesse sich doppelt so viel Strom erzeugen wie eine hypothetische Zürcher E-Scooter-Pendlerflotte eigentlich benötigen würde.

 

Vollgas in die Zukunft: KTM goes ElectricNoch hat Quantya mit der E-Enduro eine Alleinstellung am Markt. TÖFF wurde jedoch aus gut unterrichteten Kreisen zugespielt, dass sich auch die österreichische Motorradschmiede KTM ernsthaft mit dem Bau eines Elektromotorrades mit Lithium-Ionen-Speichertechnologie beschäftigt: Im März dieses Jahres wurden in Genf auf der Fachkonferenz EET-2008 (European Ele-Drive Conference / International Advanced Mobility Forum) die ersten Eckdaten zur KTM-Innova-tion vorgestellt. KTM arbeitet mit «Arsenal Re- search» zusammen, eine Firma, die im Bereich Elektroantriebe über grosse Erfahrungen verfügt.KTM-Chef Pierer hat in einem Interview im April mit der österreichischen Autorevue angekündigt, Zitat: «… dass schon in drei Jahren die ersten KTM-Elektromotorräder in verschiedensten Ausführungen zu sehen sein werden». Pierer weiter: «Ich kann mir vorstellen, dass wir in ein paar Jahren ein Elektromotorrad haben werden, mit dem man wie mit einem Mountainbike in den Bergen wandern gehen kann (…). Die Beweggründe für diesen mutigen Schritt beschreibt Pierer so: «In der Ecke, in der wir uns mit dem Sportmotorrad bewegen, sind wir sehr stark beeinträchtigt. Man darf ja aus Emissions- und Lärmgründen eigentlich nirgends mehr fahren. Das heisst, wir sind gezwungen, unseren Kunden Alternativen anzubieten, damit sie ihren Spass haben können, ohne etwas Illegales zu tun.»Auch für die «Urban Mobility» ist laut KTM-Chef das Elektromotorrad ein sinnvoller Weg, weil die Fahrzeuge nicht zu schwer bauen. Im Pendelverkehr werden kleine Distanzen bewältigt, die lediglich eine Batteriekapazität für etwa eine Stunde Fahrzeit erfordern. Dadurch lässt sich das Fahrzeuggewicht in vertretbarem Rahmen halten.

 

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