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Die E-Clutch kann was!

Die neue Honda E-Clutch, die erstmals in der CB650R und der CBR650R zum Einsatz kommt, kann was! Erster Test in Frankreich.

Die Honda E-Clutch wurde an der Eicma 2023 in Milano als Weltneuheit präsentiert. Und nun konnten wir sie zum ersten Mal erfahren. Laut den Technikern von Honda kann die E-Clutch in jedes Modell implementiert werden, egal, welcher Motor bzw. Hubraum. Ihr Debüt feiert sie jedenfalls in den beiden, sanft optisch überarbeiteten Mittelklasseschwestern CB650R und CBR650R, die in der Schweiz ab Mitte April (CB650R, ab Fr. 9590.– bzw. Fr. 9990.– mit E-Clutch) und ab Anfang Mai (CBR650R, ab Fr. 10’590.– bzw. Fr. 10’990.–) erhältlich sein werden.

 

Unkompliziert zum Ersten

Die beiden sportlichen Bikes werden vom bekannten wassergekühlten Reihenvierzylinder angetrieben, der bei 12’000 Umdrehungen 95 PS (70 kW) leistet und bei 9500 Umdrehungen ein maximales Drehmoment von 63 Nm entwickelt. Sein Tuning wurde auf diese Saison leicht angepasst, so dass er im unteren und mittleren Drehzahlbereich ein wenig an Fülle gewonnen hat. Tatsächlich ist der Vierzylinder ein unkomplizierter Geselle, der sich bei niedrigen Geschwindigkeiten bzw. Drehzahlen niemals ruppig verhält und auch dann für Vortrieb sorgt. Gleichwohl will er für satten Schub gedreht werden und zwar hoch. Fahrmodi gibt es zwar keine, doch haben wir diese dank der linearen und vorhersehbaren Kraftentfaltung auch nicht vermisst. Eine (deaktivierbare) Traktionskontrolle ist dagegen an Bord.

 

Erste Prüfung: Rush Hour

Unsere Testfahrt führt zu Beginn ausgiebig durch die Innenstadt von Marseille, genau zur Rush Hour. Perfekte Testbedingungen, denn diese Bikes dürften im realen Einsatz durchaus auch zum täglichen Pendeln zur Arbeit genutzt werden. Zudem stellt die Fahrt in der Stadt mit permanentem Anfahren und Anhalten eine besondere Herausforderung an ein System wie die E-Clutch dar. Und wir werden absolut positiv überrascht. Die Ingenieure haben uns nicht zu viel versprochen, als sie sagten, die E-Clutch arbeite mindestens so feinfühlig wie ein gekonntes menschliches Zusammenspiel von Kupplungs- und Gashand.

 

 

Anfahren von der Ampel oder vom Stopp: Sowohl gemächlich als auch engagiert funktioniert das immer wieder einwandfrei. Besonders erstaunlich dabei ist, wie unaufgeregt und präzise das Einkuppeln erfolgt und damit auch ebensolches Anfahren möglich ist.

Durchmogeln durch Kolonnen

Und wir strapazierten das System durchaus in Marseilles Morgenverkehr. Nicht nur viele Ampelstopps, sondern auch Durchmogeln zwischen den Kolonnen – in Frankreich von jedem Zweiradfahrer praktiziert und von allen anderen Verkehrsteilnehmern toleriert – steht auf dem Programm. In der Schweiz üben Fahranfänger Manöver wie diese ja in der Spurgasse. In den Städten Frankreichs gibt es die praktische Anwendung. Und hier wie da könnte man ein ruckartiges Einsetzen des Vortriebs oder eine unvorhersehbare Schwankung im Zusammenspiel von Kupplung und Gas absolut nicht gebrauchen. Man wäre vielleicht plötzlich einen halben Meter weiter vorn oder würde bei eingeschlagenem Lenker kippen.

Bitte wenden…

Auch das Wenden zählt zu den Manövern, die ein genaues Zusammenspiel von Gashand und Kupplungshand erfordern. Und auch das gelingt mit der E-Clutch sehr gut. In jeder der vielfältigen Alltagssituationen im Stadt- und Langsambereich hat die E-Clutch bewiesen, dass sie wirklich gut funktioniert. Selbst das Abwürgen des Motors ist ausgeschlossen, wenn man nicht manuell reinfunkt und alles die E-Clutch machen lässt. Sogar dann, wenn man im viel zu grossen Gang verlgangsamt oder anhält, etwa, weil man das Runterschalten vergisst, und dann wieder schneller werden bzw. weiterfahren will. Die E-Kupplung macht genau das, was man als routinierter Fahrer mit der Hand am Kupplungshebel machen würde, nämlich den passenden Schlupf finden, bis wieder vollständig eingekuppelt werden kann.

Schneller als ein Quickshifter

Die elektronisch betätigte Kupplung funktioniert aber nicht nur, sie macht sogar Spass. Noch deutlicher wird dieser Aspekt auf der offenen Landstrasse, als wir also Marseille hinter uns lassen und uns ins kurvige Hinterland begeben. Denn auf der Landstrasse wandelt sich sich das nur zwei Kilo wiegende System von der „Anfahr- und Anhalt-Automatik“ zum tadellosen bidirektionalen Quickshifter. Laut den Ingenieuren erfolgen die Schaltvorgänge mit der E-Clutch ca. 20 % schneller als mit einem Quickshifter.

 

Geschmeidigeres Einkuppeln

Ein weiterer Vorteil des Systems liege darin, dass die E-Clutch sanfter den Kraftschluss wieder herstellt, wenn der nächste Gang eingelegt ist – sanfter als ein Quickshifter und deutlich geschmeidiger als bei manuellen Schaltvorgängen. Auf die Beanspruchung der Kupplung, die sich von den Modellen ohne E-Clutch in keinster Weise unterscheidet, wirkt sich das E-System somit ebenfalls positiv aus.

Fahrspass

Über den Col de ‚Espigoulier mit seinen vielen weiten wie engen Kurven, schmalen und breiteren Abschnitten, längeren und kürzeren Zwischengeraden kann die E-Clutch ihre „Quickshifterqualitäten“ unter Beweis stellen. Hochschalten eines konventionellen Getriebes war unter Zug tatsächlich nie geschmeidiger – so der subjektive Eindruck, der von anderen Testern aber auch geteilt wird. Und das Runterschalten unter Zug, auch gleich zwei Gänge nacheinander, ist ebenfalls ein Aha-Erlebnis. Keine Spur von Unruhe. Deutlicher spürbar sind dagegen die Schaltvorgänge im Schiebebetrieb. Aber auch so sind sie möglich und verhältnismässig immer noch recht seidig. Übrigens verfügt die Kupplung (egal ob im manuellen oder im E-Betrieb) über eine Anti-Hopping-Funktion.

Unkompliziert zum Zweiten

Die E-Kupplung wechselt die Gänge bei jeder Drehzahl gleich fein und willig. Auch Haken oder Verschalten kommen auf unserer Testfahrt nie vor. Falsch machen kann man als Anwender nichts, das System ist – wie man auf gut Schweizerdeutsch sagen würde: „tubelisicher“. Nur dann, wenn die Steuerzentrale des Fahrers aus irgendeinem Grund den Befehl zum Dazwischenfunken gibt, kann es überraschende Momente geben. Etwa dann, wenn unerwaret angehalten werden muss und man reflexartig zur Kupplung greift. Das allein ist noch kein Problem, denn Dazwischenfunken ist jederzeit möglich. Das System schaltet sich danach (nach dem Einkuppeln) auch automatisch wieder ein, bei tiefen Drehzahlen nach fünf, bei höheren Drehzaheln bzw. Tempi nach einer Sekunde.

 

Und doch abgewürgt

Hält man aber z. B. spontan und mit gezogenem Kupplungshebel an, muss man auch manuell wieder losfahren. Wer die Geschehnisse voreilig, also vor dem erneuten vollständigen Anfahren und Einkuppeln der Automatik übergeben will, schafft es dennoch, den Motor abzuwürgen. Gleiches gilt, wenn man den Töff bei eingelegtem Gang startet, was wie bei anderen Töff auch mit gezogener Kupplung möglich ist. Auch dann arbeitet das E-System erst nach dem Losfahren und Einkuppeln. Wer nach dem ersten Vorrücken, etwa aus der Parklücke denkt, ab jetzt darf die Automatik, und dann den Hebel loslässt, der würgt den Motor ab. Dieses Risiko lässt sich dagegen eliminieren, wenn man im Neutral ggf. mit betätigter Bremse startet und dann mit aktivem E-Clutch-System – Aktivität wird immer durch ein grünes Symbol am rechten Rand des für 2024 neuen, gut ablesbaren und übersichtlichen 5-Zoll-TFT-Farbdisplays angezeigt (inkl. Connectivity mit Pfeilnavigation u. a.) – den ersten Gang ohne Kupplungsbetätigung (!) einlegt.

 

Allroundqualitäten

Auch die übrige Performance der beiden 650er-Modelle stimmt. Die Fahrwerksabstimmung bietet den gewünschten Komfort für rumpelige Innenstadtgassen und die nötige Stabilität und Spurtreue für rassige Striche über Land. Bodenkontakt stellt vorne ein Pneu der Dimension 120/70-17, hinten der Dimension 180/55-17 her. Bei den Reifen handelt es sich um Dunlop Sportmax Roadsport 2. Die beiden vorderen radial angeschlagenen Nissin-Vierkolbensättel, die sich in Bremsscheiben von 310 mm Durchmesser beissen und die hintere Einkolbenzange, die sich in eine 240-mm-Scheibe beisst, leisten ebenso gute Dienste. Sie sind sauber dosierbar und verzögern ohne zu viel benötigte Handkraft satt.

Ergonomie

Dank schmaler Taille ist die Sitzhöhe von 810 mm bei beiden Maschinen sehr allgemeinverträglich, auch um die Maschinen mit 207 kg (CB650R mit E-Clutch) bzw. 211 kg (CBR650R mit E-Clutch) vom Ständer aufzurichten oder (nebenhergehend) zu rangieren.

 

Das E-Clutch-Entwicklerteam (v. l.) an der Präsentation in Marseille: Asuka Ito, Noriyoshi Tutui, Yuta Hasado, Kazuki Watanabe, Tatsuya Ryuzaki.

Das E-Clutch-Entwicklerteam (v. l.) an der Präsentation in Marseille: Asuka Ito, Noriyoshi Tutui, Yuta Hasado, Kazuki Watanabe, Tatsuya Ryuzaki.

 

Mehr zur E-Clutch: www.moto.ch/honda-e-clutch-automatische-kupplung/

 

Lind zu Honda Motorrad Schweiz: www.de.honda.ch/motorcycles.html

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