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Tom Lüthi wie Bernhard Russi? «Das wäre wirklich cool…»

Tom Lüthi erklärt auf seinem Bauernhof in Linden, warum er Ende Saison aufhört und wie es dann weitergeht. Seine Reise mit dem GP-Zirkus rund um den Globus ist noch lange nicht zu Ende.

 

Das schmale Strässchen führt vom 1300-Seelen-Dorf Linden einem zu einem kleinen bäuerlichen Anwesen in Hanglage auf einer Meereshöhe von etwas mehr als 900 Metern. So stellen wir uns die Heimat eines Kranzschwingers vor.

 

Aber Tom Lüthi war nie ein Schwinger. Von hier aus ist er vor 20 Jahren losgezogen, um die Töffwelt zu erobern. Seit 2017 wohnt er wieder hier. Und nun erklärt er in idyllischer Gotthelf-Umgebung die Gründe für den Karriere-Schluss per Ende Saison.

 

Tom Lüthi lief es beim MotoGP in Spielberg plötzlich wieder besser, und dann kam er doch: Der Rücktritt!

Nicht aus heiterem Himmel

Natürlich ist Tom Lüthi nicht eines morgens aufgewacht und hat sich gesagt: So, das wars. Lüthi: «Den Endgültigen Entscheid habe ich nach dem Rennen am letzten Sonntag in Spielberg und reiflicher Überlegung gefällt. Es gibt nicht DEN, es gibt viele Gründe. Wichtig ist für mich, dass es mein Entscheid ist. Ich muss nicht aufhören. Ich darf aufhören und erhobenen Hauptes gehen.»

 

Gönnt er sich eine Pause nach dem letzten Rennen? Mal ein, zwei Monate abschalten? «Etwas in der Richtung. Aber ich weiss es noch nicht.» Er plane auch nicht, eine Familie zu gründen.

 

Ganz oder gar nicht

Doch Lüthi hätte auch noch ein, zwei Jahre fahren können. «Ja, aber ich mache keine halben Sachen. Wenn ich fahre, dann will ich gewinnen und das ist nicht mehr möglich.»

 

Die Entwicklung der letzten Jahre bezeichnet er als «Wahnsinn». Junge Fahrer, die mit 15 schon in allen Bereichen ausgebildet und trainiert sind. «Das ist extrem, ja krass» Es ist eine Dynamik, die auch ihn in einem gewissen Sinne überrollt hat.

 

Im Mai ist sein Freund Jason Dupasquier (19) beim GP von Italien tödlich verunglückt. Er hätte Tom Lüthis Nachfolger werden können. Spielt diese Tragödie beim Rücktrittsentscheid eine Rolle? «Nein, dieser Schicksalsschlag hat eine ganz andere Bedeutung. Für meinen Entscheid spielen sportliche und berufliche Überlegungen eine Rolle.

 

Manager und Sportchef

Es sei der richtige Zeitpunkt für eine neue berufliche Herausforderung. Tom Lüthi übernimmt im Mandat das Management des Nachwuchsfahrers Noah Dettwiler (16), der über Nachwuchs-Rennserien den Einstieg in die Moto3-WM anstrebt und der nächste Schweizer GP-Pilot werden kann.

 

Ab Jahresbeginn 2022 wird Tom Lüthi hauptberuflich Sportchef des deutschen Moto3-WM-Teams von Florian Prüstel. Er wird für die Organisation des sportlichen Betriebes, für die Betreuung und Rekrutierung der zwei Piloten und das Juniorteam verantwortlich sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Noah Dettwiler in diesem Team in den nächsten zwei Jahren ein GP-Pilot wird.

 

Tom Lüthi bleibt also im Geschäft. Er wird weiterhin um die Welt reisen, die Batterien auf dem Barschwand aufladen und wieder aufbrechen. Glücklich, seinen Platz in einer Welt behalten zu können, die seit 20 Jahren seine Heimat ist. Daniel Epp, der ihn über all die Jahre als Freund und Manager begleitet hat, wird er weiterhin um Rat fragen können. «Würde ich etwas anderes machen, müsste ich ganz von vorne anfangen.»

 

Das enorme, in zwei Jahrzehnten erworbene Wissen von Tom Lüthi geht dem Rennsport also nicht verloren. Wird er so etwas wie ein Bernhard Russi unseres Töffrennsports? Da muss er lachen und sagt, daran habe er gar nicht gedacht. «Das wäre wirklich cool…»

 

Tom Lüthi 1999 mit 12 Jahren im AMP Thun auf dem Weg zu seinem ersten Pocket-Bike-Titel. Bild: Tobias Kloetzli

 

Zurück, wo alles begonnen hat

Zwanzig Jahre sind seit dem Beginn seiner grossen Karriere ins hügelige Land an der Wasser- und Kulturscheide zwischen dem Berner Oberland und dem Emmental gezogen. Aus dem «Töfflibub» von 2002 ist ein selbstsicherer, charismatischer Mann geworden, der genau weiss, was er will. Und in dieser Zeit hat sich auch der Barschwand verändert. 2017 hat Tom Lüthi das Anwesen von seinen Eltern übernommen, renoviert und ausgebaut. Es ist die Erde, aus der er seine Kraft bezieht. Auch deshalb ist er so gut geerdet.

 

Würde er heute etwas anders machen? «Nein. Natürlich gibt es diese oder jene Sache, die ich heute anders machen würde. Aber nichts Gravierendes und ich schaue sowieso nach vorne.» Natürlich sind die Erinnerungen an den WM-Titel von 2005 die schönsten. Am nächsten kommt diesem Erlebnis nicht ein Erfolg, sondern ein Scheitern: die MotoGP-Saison 2018 ohne WM-Punkt. «Das Fahrgefühl auf dieser Maschine lässt sich nicht in Worte fassen.» Er bereue nicht, dass er dieses Abenteuer, die Auseinandersetzung mit dieser Technik gewagt habe.

 

Pensionierung 2021

Dem Besucher fällt eine Holzbank mit der Gravur «Zur Pensionierung 2021» auf. Nein, es ist kein launiges Geschenk zum Rücktritt von Tom Lüthi. Zufälligerweise fällt die Pensionierung seines Vaters Hansueli ins gleiche Jahr wie der Rücktritt seines Sohnes. Er hat neben der längst aufgegebenen Landwirtschaft in einem Sanitärgeschäft gearbeitet. Und anders als sein Sohn tritt er trotz AHV und Pension nicht zurück. «Es gibt so viel Arbeit und es fehlen die Fachkräfte. Ich mache noch ein wenig weiter…» erklärt Hansueli Lüthi. Er ist froh, dass Tom so gut durch all die Jahre gekommen ist. «Es war nicht immer leicht. Manchmal habe ich mir gewünscht, Tom wäre Pianist…»

 

Der WM-Titel 2005 war natürlich ein ganz grosser Moment!

 

Der Vater und die Mutter wirken jung (früher sagte man: rüstig) und nicht wie Rentner. Und der Sohn auch nicht wie ein «sportlicher Rentner». Er hat im Laufe seiner Karriere zwar beide Schlüsselbeine, den Fuss und den Ellenbogen gebrochen und 2013 hing seine Karriere nach dem Ellenbogenbruch (unverschuldeter Sturz bei Testfahren) an einem seidenen Faden. Mit einer enormen Willensleistung hat er diesen Unfall auch zur Überraschung der Ärzte praktisch vollständig überwunden und an die Weltspitze zurückgekehrt. Tom Lüthi sagt, wenn er am Morgen aufstehe, fühle er keine Schmerzen. Das können bei weitem nicht alle Rennfahrer sagen, wenn sie den Helm an den Nagel hängen.  Manche zwickt es schon, wenn sie nur den Helm aufhängen.

 

310 GP ist Tom Lüthi bis heute gefahren. Noch sieben GP bleiben bis zum Ende der Saison, bis zum Ende seiner Karriere. Kann er jetzt, nach der Rücktrittserklärung noch ganz bei der Sache sein? «Oh ja.» Eigentlich hätte sich diese Frage erübrigt. Tom Lüthi macht keine halben Sachen.

 

Text: Klaus Zaugg

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